„Demokratie erreicht ein Drittel nicht mehr“

Die Ebert-Stiftung registriert, dass die Bürger immer weniger Vertrauen in die republikanische Staatsform haben

FRANK KARL, 60, ist der Leiter der Studie über das Demokratievertrauen. Er arbeitet bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

taz: Herr Karl, Sie haben das Demokratieverständnis untersucht. Überrascht Sie das geringe Vertrauen in die Demokratie?

Frank Karl: Die Ergebnisse überraschen mich nicht nur. Sie machen mich zum Teil richtig betroffen. Das erschreckendste Ergebnis war für mich, dass nur einem Viertel der Befragten uneingeschränkt wert ist, für unsere Gesellschaftsordnung einzutreten. Jeder Fünfte ist nicht bereit, für unsere Demokratie auch nur einen Finger krumm zu machen. Da wird eine unglaubliche Desinteressiertheit deutlich.

Wie erklären Sie sich das geringe Vertrauen in die Demokratie?

Das Vertrauen in die Demokratie ist in Deutschland ganz eng verknüpft mit dem Funktionieren des Sozialstaats. Und wenn die Bürger den Eindruck haben, dass dieser nicht mehr funktioniert, steigen auch die Zweifel am System als Ganzem.

Wer distanziert sich denn von der Demokratie? Ganz klischeehaft, die Arbeitslosen und die Hartz-IV-Empfänger?

Natürlich ist die Ablehnung in den unteren sozialen Schichten höher. Da wird persönliche Betroffenheit oft zur Staatsferne. Aber ich würde davor warnen, das nur als ein Phänomen der unteren gesellschaftlichen Schichten abzutun. Die Skepsis gegenüber der Demokratie, wie sie bei uns existiert, ist bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein verbreitet. Das System erreicht ein Drittel der Menschen nicht mehr.

Sind die Sozialreformen der vergangenen Jahre – die Agenda 2010 – schuld an dieser Entwicklung?

Der Reformbegriff ist jedenfalls völlig verbrannt. Wenn die Leute Reformen hören, halten sie nur noch ihre Portemonnaies fest. Eine deutliche Mehrheit der für unsere Studie Befragten sagt, in dieser Geschwindigkeit dürfen die Reformen nicht weitergehen.

Es gibt derzeit viel Verdruss mit der großen Koalition. Welche Versäumnisse gibt es, die sich die Parteien vorhalten lassen müssen?

Die Parteien, insbesondere die Volksparteien, haben es nicht geschafft, die Reformen der vergangenen Jahre einzuordnen in eine Gesamterzählung. Ihnen ist nicht gelungen, all diese Einzelmaßnahmen zu erklären. Warum sie notwendig sind, selbst wenn sie wehtun. Die Leute sehen nur, dass sie jetzt 10 Euro beim Arzt bezahlen müssen oder erst mit 67 in Rente gehen dürfen. Da wird zwar immer mit zahlreichen demografischen Daten argumentiert, aber welche Gesellschaft wir in Zukunft haben wollen, wird nicht deutlich.

INTERVIEW: WOLF SCHMIDT