Wiederaufbau im Südsudan: Waffenschmuggel statt Obst

Eigentlich soll Frieden herrschen im Süden des Sudan. Doch Jahrzehnte Krieg haben alle Strukturen zerstört. Der neue Staat scheint gescheitert, noch bevor es ihn gibt.

Südsudanesische Zivilisten fliehen vor einer Auseinandersetzung (Aufnahme von 2008). Bild: reuters

JUBA taz |Die Straße ist leer. In der weiten Umgebung sind keine Menschen zu sehen, nur verlassene Dörfer. Häuser und Äcker sind verbrannt. Das Vieh ist verschwunden. Ein Getreidespeicher auf Holzpfählen schwelt noch. Auf dem Boden liegen Patronenhülsen. Es herrscht eine gespenstische Stille. Das ist kein Kriegsgebiet, im Südsudan herrscht seit 2005 offiziell Frieden. Vor fünf Jahren, am 9. Januar 2005, schloss die südsudanesische Guerilla SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) nach 22 Jahren Krieg einen Friedensvertrag mit Sudans Regierung in der Hauptstadt Khartoum. Der christlich/animistische Südsudan wurde autonom vom muslimischen Rest des Landes. Anfang 2011, in einem Jahr, kann die südsudanesische Bevölkerung über die Unabhängigkeit abstimmen. Ein neuer Staat könnte entstehen. Aber ein Jahr vor diesem historischen Schritt herrscht in Südsudan wieder Krieg. Die verlassenen und verbrannten Dörfer sind das Ergebnis von Konflikten zwischen südsudanesischen Völkern. Seit sie keinen gemeinsamen Feind mehr haben, kämpfen sie gegeneinander.

Albino Wani, ein Dorfältester, hat im Ort Gemmeiza hinter einer Mauer vor einem Sandsturm Schutz gesucht. Von dort blickt er auf eine abgebrannte Kirche. In Gemmeiza, 120 Kilometer nördlich der südsudanesischen Hauptstadt Juba, haben Einwohner von verbrannten Dörfern aus der Umgebung Schutz gesucht. Die meisten Flüchtlinge gehören zum kleinen Volk der Mundari, hauptsächlich Bauern, die ein Paar Kühe und Ziegen halten. Seit Jahrhunderten schon streiten sich die Mundari mit den Dinka, dem großen Hirtenvolk der Region. Die Dinka stellen auch die Führung der SPLA, die Südsudan jetzt regiert.

"Jetzt, wo es offiziell Frieden gibt, müssten die Dinka zurück in ihr eigenes Gebiet im Norden von Südsudan gehen", murmelt Albino Wani. "Aber stattdessen bleiben sie hier, lungern herum und verursachen Chaos. Sie töteten einen von uns und wir nahmen Rache, die sie wieder vergolten mit Gewalt. Früher gab es bei so was viel weniger Tote, und sie verbrannten nie unsere Dörfer. Traditionelle Führer stifteten immer wieder Frieden. Aber jetzt hören die Jüngeren nicht mehr auf uns, weil sie alle Waffen haben."

Am 9. Januar 2005 schlossen Sudans Regierung und Südsudans Rebellenbewegung SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung) nach 22 Jahren Krieg mit zwei Millionen Toten einen Friedensvertrag. Südsudan bekam darin Autonomie unter SPLA-Führung bis zu einem Unabhängigkeitsreferendum im Januar 2011. Für 2009 wurden gesamtsudanesische Wahlen angesetzt. Der damalige SPLA-Führer John Garang setzte darauf, bei diesen Wahlen zusammen mit Sudans demokratischer Opposition die Macht in ganz Sudan zu erringen.

Aber im Juli 2005 starb Garang, sein Nachfolger Salva Kiir will die Unabhängigkeit Südsudans. Damit hatte die Zentralregierung nicht gerechnet. Die Umsetzung des Friedensvertrages stockt daher. Die Wahlen sind bereits auf April 2010 verschoben, ob das Unabhängigkeitsreferendum 2011 stattfindet, ist angesichts der Gewalt im Südsudan unsicher.

Um Gemmeiza gab es mehr als 40 Tote, 24.000 Menschen ergriffen die Flucht. Insgesamt wurden bei solchen Stammeskonflikten im Südsudan voriges Jahr ungefähr 2.500 Menschen getötet, 400.000 sind geflohen.

Agnes Achan ist zu schwach, um böse zu sein. Seit Wochen hat die Witwe kaum etwas anderes zu essen als Feigen oder gekochte Brennnesseln. Ihr Mann wurde im Krieg getötet, ihre sechs Kinder hat sie alleine erzogen. "Im Krieg war es schwer, aber so schlimm wie heute war es nie. Ich hatte immer etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf. Jetzt habe ich bloß meine Kleider und einen geschenkten Kochtopf", erzählt sie.

Gemmeiza liegt am Ufer des Nils. Aber Agnes Achan hat kein Geld, um Fisch zu kaufen, und keine Angel, um welche zu fangen. Sie versteht nicht, warum die Armee die Dörfer nicht schützt und warum es keine Nahrungshilfe gibt. "Die Armee ist weggerannt, als die Dinka auf sie schossen. Und wahrscheinlich haben Regierung und Hilfsorganisationen auch Angst, weil sie kein Essen bringen."

Die Politik kennt die Ursachen: Aus Sicht des Gouverneurs der Provinz Zentral-Äquatoria, in der Gemmeiza liegt, besteht das Problem darin, dass zu viele Waffen zirkulieren. "Die Bürger sind manchmal besser bewaffnet als die Armee", sagt Gouverneur Clement Wani in Südsudans Hauptstadt Juba. "Wir müssen sie schnell entwaffnen, sonst eskaliert die Gewalt. Wie können wir im April Wahlen organisieren, wenn die Lage an so vielen Orten so gefährlich ist?" Im kommenden April sollen gesamtsudanesische Wahlen stattfinden - ein Testlauf für das Referendum 2011. Viele südsudanesischen Funktionäre meinen, dass Khartoum die Gewalt im Süden schürt, damit die Wahl nicht klappt und damit auch das Referendum scheitert. "Der Norden will die Unabhängigkeit des Südens mit allen Mitteln verhindern", meint ein UN-Mitarbeiter. "Er hofft, dass die Region zerfällt und die Volksabstimmung unmöglich wird." Und deshalb, so der Gouverneur, sorgt der Norden dafür, dass der stetige Zustrom von Waffen nicht abreißt.

Auf dem Markt von Juba ist alles zu kaufen. Ohne Ausnahme kommen die Güter aus dem Ausland und sind sehr teuer. Eine ugandische Markthändlerin verlangt für sechs kleine Bananen sechs Euro. Auf die Anmerkung, das sei aber teuer, zuckt sie mit den Schultern. "Die Früchte kommen aus Uganda. Das ist weit weg. Ich bin schließlich hier, um Geld zu verdienen, so dass meine Kinder auf eine gute Privatschule gehen können."

Der Ort Ibba weiter südlich müsste eigentlich im Überfluss leben. Überall stehen Mangobäume, die Äste hängen tief mit den schweren, noch unreifen Früchten. Im örtlichen Kiosk im Schatten eines riesigen Mangobaumes wird Mangosaft verkauft. Aber er kommt nicht von hier. Er ist aus dem Nachbarland Uganda und sehr teuer. "In der Mangosaison stinkt es hier ganz schlimm. Überall liegen verfaulte Früchte", erzählt Markthändler Elia Saba. "Wir könnten viel Geld verdienen, wenn wir die Mangos zu Marmelade oder Saft verarbeiten würden. Aber wir haben dafür nicht die Expertise und auch nicht die Maschinen."

Ibba liegt an der neuen Straße von Juba nach Uganda. "Wir kaufen Saft aus dem Nachbarland", erklärt der Händler. "Das sind zwei Tage Autofahrt nach Süden. Juba liegt in der anderen Richtung, nur einen Tag entfernt. Wenn wir hier Saft produzieren würden, könnten wir unsere Hauptstadt beliefern. Und unser Saft wäre auch billiger."

Obwohl die Mangos von Ibba wahrscheinlich auch in diesem Jahr verfaulen werden, haben die Markthändler die Hoffnung nicht aufgegeben. Um ihre Produkte einladender anzubieten, bauen sie momentan einen überdeckten Markt mit festen Ständen. Bis jetzt sitzen sie noch am Straßenrand und legen ihre Produkte auf Plastik und Kartons, wo sie viel Staub fangen.

Südsudans SPLA-Regierung fördert solche Initiativen nicht. Sie überlässt das der internationalen Entwicklungshilfe. Auch die hat Jahre gebraucht, um an Tempo zuzulegen. Der normale bürokratische Weg, um Projekte finanziert zu bekommen, kann bis zu 18 Monaten dauern. Darum beschloss die UNO voriges Jahr, einen Sudanesischen Wiederaufbaufonds (SRF) zu gründen, der lokale Aufbauarbeit direkt fördert. "Zusammen mit der örtlichen Bevölkerung, der Regierung und Partnerorganisationen entscheiden wir, welches Projekt gut ist für eine Region. Die Pläne sind schnell zu realisieren weil unsere Finanzierungsstrecke viel kürzer ist. Mit diesem neuen Markt hier in Ibba, den wir finanzieren, sieht die Bevölkerung eine Friedensdividende", erläutert Elizabeth Kiarie vom SRF.

Aber für Südsudanesen, die ihr Land aufbauen möchten, ist der UN-Fonds eher ein Zeichen des Scheiterns. "Geschichten wie die aus Ibba mit den Mangos frustrieren", sagt Professor Barri Wanji, Vorsitzender der südsudanesischen Parlamentskommission für Wirtschaft und Finanzen. "Südsudan produziert nichts. Alles kommt aus dem Ausland. Die Regierung setzt die Prioritäten falsch. Und dann gibt es auch noch große Korruption."

Aus einer Schublade holt der Professor einen Umschlag mit, wie es scheint, Kieselsteinen. "Nein, das ist Getreide!", sagt er. "Verfault! Nur ein Hund würde es noch fressen." Die Körner sind Teil der strategischen Getreidereserve, die Südsudans Regierung importiert hat. Millionen wurden dafür ausgegeben, aber viel Nahrung verschwand, wurde nie geliefert oder ist verfault. Die Regierung verlor damit rund 150 Millionen Euro.

Seit 2005 hat Südsudan mehr als fünf Milliarden Euro an der Ölförderung verdient, aber das Geld wird von der Zentralregierung in Khartoum verwaltet. Wo es ankommt, weiß niemand genau. "Viel Geld zieht Korruption an", lautet die Schlussfolgerung von Südsudans Energieminister John Luk. "Es ist kein System, sondern das Werk von Individuen. Und wenn Geld verschwindet, ist das nicht immer Korruption, sondern auch Unwissenheit. Wir haben keine Erfahrung mit Verwaltung. Die meisten von uns sind Krieger."

So bleibt die Lage der Menschen unverändert dramatisch. Mehr als 85 Prozent der Südsudanesen können weder lesen noch schreiben. Seit dem Frieden gehen zwar mehr Kinder in die Schule, aber es gibt durchschnittlich nur einen Lehrer für 1.000 Kinder und nur zwei Prozent der 1,3 Millionen Schülern schließen die Grundschule ab. Ganz Südsudan mit gut acht Millionen Einwohnern hat gerade 10 diplomierte Hebammen. Jede siebte Schwangere stirbt während der Entbindung.

Die alarmierenden Statistiken zeigen, wie sehr es dem Südsudan an geschulten und erfahrenen Arbeitskräften fehlt. Viele gebildete Südsudanesen flohen während des Krieges. Nur wenige sind inzwischen zurückgekehrt. "Ich kam vor einem Jahr, aber es fällt mir sehr schwer", erzählt Tong Adu, der in den Niederlanden Psychologie studierte. Der 40-Jährige findet, dass die Rückkehrer in der Heimat nicht willkommen sind. "Uns wird immer der Vorwurf gemacht, dass wir nicht gekämpft haben. Ich weiß nicht, wie lange ich noch bleibe."

Trotz alledem: Die Chance, dass Südsudan 2011 für die Unabhängigkeit stimmt, ist groß. Das aber, so warnen immer wieder Politiker in Khartoum, bedeutet Krieg. Wer jetzt im Südsudan Geschäfte macht, versucht daher, so schnell wie möglich Geld zu verdienen.

Ein Beispiel: das von Chinesen gebaute Beijing Hotel in der Hauptstadt Juba, das seit zwei Jahren existiert. Bauzeit: ein halbes Jahr. Es besteht vor allem aus Plastik und das Gebäude fällt schon wieder auseinander. Ein Gast erzählt resigniert: "Es ist schwierig, ein Hotelzimmer in Juba zu bekommen. Das Beijing ist zwar teuer und groß, aber es hat immer Zimmer frei. Es ist wahnsinnig hellhörig. Wenn ich mich kratze, hören das die Leute mehrere Zimmer weiter." Das Hotel - ein Symbol für das neue Südsudan?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.