„Zu viel Schwarz-Weiß“

Vorstand Jan Korte: „Es muss mehr moderne Antworten auf Zukunftsfragen geben.“ Warum er das Programm seiner Partei für unterkomplex hält

■ 32, ist Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Bundesvorstands der Linkspartei. Er wechselte 1999 aus Protest gegen den Kosovo-Krieg von den Grünen in die damalige PDS. Der Innenpolitiker gehört in der Linkspartei dem reformorientierten Forum demokratischer Sozialismus an.

taz: Herr Korte, taugt dieses Grundsatzprogramm etwas?

Jan Korte: Ja, aber es gibt erheblichen Diskussionsbedarf.

Warum?

Weil es deutlich mehr moderne Antworten auf Zukunftsfragen geben muss. Das Programm muss die Anknüpfungspunkte im Hier und Heute für einen demokratischen Sozialismus klarer machen.

In dem Programm steht, dass „der Kapitalismus die Grundlagen von Demokratie untergraben“ hat. In welcher Gesellschaft leben wir dann? Der Diktatur des Monopolkapitals?

Genau das ist eben zu einseitig. Es gibt nicht hier den faulenden, sterbenden Kapitalismus, dort die Zukunft des Sozialismus. In dem Text ist zu viel Schwarz-Weiß und zu wenig Schattierung.

Wo sind die Schwächen?

Zum Beispiel bei der Frage der Regierungsbeteiligung. Da wird eine rote Linie markiert, dass wir uns an keiner Regierung beteiligen, die Privatisierungen, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt.

Ist das nicht vernünftig?

Nein, das Problem ist komplexer. Wenn man diesen Satz eins zu eins nimmt, dürfte die Linkspartei in Brandenburg oder Berlin nicht regieren.

Weil Rot-Rot in Brandenburg angesichts von schrumpfender Bevölkerung und wachsender Schulden Stellen im öffentlichen Dienst abbauen wird.

Kein Missverständnis: Ich votiere nicht für Privatisierungen oder Sozialabbau. Aber es muss mehr Kriterien geben, an denen sich entscheidet, ob regieren für uns sinnvoll ist.

Zum Beispiel?

Die Verbesserung der Lage von Asylbewerbern durch die Abschaffung der Residenzpflicht. Oder die Schaffung eines öffentlichen Beschäftigungssektors, wie ihn Rot-Rot in Berlin durchgesetzt hat. Ich merke in meinem Wahlkreis in Sachsen-Anhalt, dass die Bürger interessiert, wie man 1-Euro-Jobs durch existenzsichernde, gute Arbeit ersetzt. Eine Linie zu ziehen und zu sagen: „Jenseits davon beginnt der Verrat“, ist unterkomplex.

In dem Programm wird gewarnt, dass die Partei nicht der „Logik des Parlamentarismus“ unterliegen darf. Die außerparlamentarische Bewegung wird gelobt. Warum?

Ich will auch nicht, dass die Linkspartei so brav wird wie die Grünen. Aber die Frage ist: Welche außerparlamentarische Bewegung ist da gemeint? Wenn es sie gibt, was im Moment zweifelhaft ist: Wie sieht die Aufgabenverteilung zwischen Partei und Bewegung denn aus? Das sind offene Fragen.

Das Programm setzt auch stark auf die Gewerkschaften.

Das ist richtig, aber zu kurz gegriffen. Die Gewerkschaften sind in einer massiven Krise. Im Osten sind sie teilweise gar nicht mehr vertreten. Darüber müssen wir als Linke kritisch nachdenken. Eine linkssozialistische Partei kann nicht eins zu eins Gewerkschaftspolitik übernehmen.

Also haben sich in dem Programm die Fundis durchgesetzt?

Jein. Es gibt auch lichte Punkte. Etwa die Gleichrangigkeit von Freiheit und Gleichheit. Oder dass klar ist, dass der sozialökologische Umbau ein linkes Kernprojekt ist und jetzt beginnen muss.

Die Linkspartei will auch „libertär und humanitär orientierte Milieus ansprechen“. Wird ihr das gelingen?

Das muss uns gelingen. Wenn wir eine linke Volkspartei sein wollen, müssen wir auch das aufgeklärte Bürgertum ansprechen. Das ist existenziell für uns. Dafür müssen wir den sozialökologischen Umbau und den Wert individueller Freiheitsrechte klarer machen. Der Kapitalismus hat barbarische Aspekte. Aber es reicht nicht, das anzuklagen.

Dietmar Bartsch kandidiert nicht mehr als Bundesgeschäftsführer, Bodo Ramelow nicht mehr für den Parteivorstand. Und Sie, Herr Korte?

Ich kandidiere nicht mehr für den Parteivorstand, weil ich es falsch finde, wenn der Parteivorstand fast nur aus Bundestagsabgeordneten besteht. Wenn man das kritisiert, muss man auch die Konsequenz ziehen. Ich will mich auf den Vorstand der Bundestagsfraktion konzentrieren.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE