„Die Opposition ist tief gespalten“

REVOLUTION Bevölkerung und Opposition kommen nicht zusammen, sagt die Historikerin Beate Eschment

■ Beate Eschment, 50, ist Historikerin und arbeitet an der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Ihre Schwerpunkte sind Kasachstan und Kirgisien. Eschment ist Redakteurin der Zentralasien-Analysen.

taz: Frau Eschment, die Präsidentin der Übergangsregierung, Rosa Otunbajewa, hat die Ereignisse in Kirgisien als Revolution bezeichnet. Sehen Sie das auch so?

Beate Eschment: Nein, genauso wenig, wie die sogenannte Tulpenrevolution 2005 eine Revolution war. Eine Revolution würde ja heißen, dass nicht nur Gesichter ausgetauscht werden, sondern ein System geändert wird.

Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie mit den Ereignissen im Jahr 2005?

Beiden Ereignissen gemeinsam ist, dass die Präsidenten in den Augen ihrer Umwelt jeglichen Bezug zur Realität verloren und mit Vetternwirtschaft und eigener Bereicherung den Bogen überspannt haben. Und das angesichts der Tatsache, dass die Bevölkerung immer weiter verarmt. Als Bakijew an die Macht kam, haben die Menschen gehofft, dass sich die Situation verbessert, aber er hat alles nur noch schlimmer gemacht. Irgendwann war dann die Grenze überschritten.

Und die Unterschiede?

Der Aufstand scheint diesmal viel schlechter organisiert zu sein. 2005 ist Bakijew mit seinen Anhängern aus dem Süden nach Bischkek gekommen und hat das Weiße Haus gestürmt. Diesmal wirkt das Ganze viel spontaner.

Was ist der Auslöser?

In Kirgisien kommt es jedes Jahr im Frühling zu Unruhen, weil die Bevölkerung unzufrieden ist und noch nie die Erfahrung gemacht hat, dass die Politiker qua Amt etwas ändern. Die Menschen glauben, nur durch Proteste sei etwas zu ändern. Die Opposition wiederum versucht, die Bevölkerung zu kanalisieren und in Bewegung zu setzen, aber beide kommen eigentlich nie zusammen. Denn die Bevölkerung traut der Opposition genauso wenig wie der Regierung. Jetzt hatte die Unzufriedenheit wegen Misswirtschaft und Clanpolitik ein Ausmaß erreicht, dass die Menschen ihren Unmut noch einmal massiver auf die Straße gebracht haben. Und da ist die Opposition aufgesprungen.

Wie ist der Zustand der Opposition?

Das Problem ist, dass die Oppositionsführer individuelle Führer sind, die jeweils einige Anhänger haben, es aber nicht schaffen, die Massen hinter sich zu bringen. Außerdem sind sie nicht in der Lage, sich wirklich zusammenzuschließen. Sie spalten sich immer wieder und schaffen es nicht, ein Gegengewicht zur Führung zu sein. Die Opposition hat nur dann eine Chance, wenn die Bevölkerung auf die Straße geht.

Rosa Otunbajewa hat bereits erklärt, welche Maßnahmen die Übergangsregierung ergreifen will. Was sollten Ihrer Meinung nach jetzt die Prioritäten sein?

Zuerst einmal muss im ganzen Land wieder Ruhe hergestellt werden. Zudem muss erreicht werden, dass die Sicherheitskräfte, die dem Bruder Bakijews unterstehen, im Zaum gehalten werden. Was die Wahlen angeht, so muss alles darangesetzt werden, dass sie frei und fair ablaufen. Und dass es der Opposition gelingt, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Anders als 2005, als Bakijew der unangefochtene Kandidat der Opposition war, ist das jetzt unklar. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sich die Opposition jetzt untereinander zerfleischt.

Welche Auswirkungen haben die Unruhen auf die Region?

Rosa Otunbajewa: In ihrer Dissertation kritisierte sie 1975 noch die Frankfurter Schule. Da hatte sie einen Studienaufenthalt in Deutschland hinter sich. Nach einer kurzen akademischen Laufbahn war sie seit 1981 in verschiedenen Parteifunktionen in der Sowjetrepublik Kirgisien tätig. 1989 trat sie in den sowjetischen diplomatischen Dienst ein. Nach dem Ende der UdSSR wurde sie von der kirgisischen Regierung zeitweise als Botschafterin entsandt, u. a. in die USA, nach Kanada und Großbritannien. 2002 war sie Mitglied der UN-Mission in Georgien. Von 1994 bis 1997 war sie unter dem damaligen Präsidenten Akajew Außenministerin und noch einmal 2005 nach Akajews Sturz unter dem neuen Präsidenten Bakijew. Doch nur kurz, dann wechselte sie zur Opposition; zuletzt war sie Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei im kirgisischen Parlament. Bis zum Donnerstag, als sich die 59-Jährige der Bevölkerung als Übergangspräsidentin vorstellte.

Alle Führer in der Region werden die Unruhen in große Aufregung versetzen. Die Nachbarstaaten haben ja auch schon ihre Grenzen zu Kirgisien geschlossen. In Usbekistan und Kasachstan sind seit vielen Jahren Präsidenten an der Macht, die nichts mehr fürchten, als dass die Revolution auch ihre Länder erreichen könnte.

Wie sollte der Westen agieren?

Die Anerkennung der neuen Regierung in Kirgisien wäre ein erster Schritt. Zudem gilt es, die wirtschaftliche Unterstützung für das Land aufrechtzuerhalten. Dabei sollte aber genau hingesehen werden, ob die Gelder auch wirklich bei denjenigen landen, für die sie gedacht sind.

INTERVIEW: BARBARA OERTEL