Ökonom Heiner Flassbeck: "Griechenland ist nicht pleite"

Wenn die Euro-Staaten schnell helfen, sei die Krise zu beherrschen, sagt der Ökonom Heiner Flassbeck, "dieses ganze Gerede vom Staatsbankrott ist kompletter und gefährlicher Blödsinn".

Bild: dpa

taz: Herr Flassbeck, ist Griechenland fast bankrott oder schon komplett pleite?

Heiner Flassbeck: Weder das eine noch das andere. In Ländern wie Griechenland und Deutschland stehen den Schulden riesige Vermögenswerte gegenüber. Schon darum ist dieses ganze Gerede vom Staatsbankrott kompletter und gefährlicher Blödsinn.

Die Investoren auf den Finanzmärkten verlangen bis zu 16 Prozent Zinsen, wenn sie Griechenland Geld leihen. Der Finanzminister hat erklärt, keine Staatspapiere mehr verkaufen zu können. Ist die Situation nicht beängstigend?

Heiner Flassbeck (59) arbeitet bei der Handelskonferenz der UN in Genf. Unter Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine war er Staatssekretär, zuvor arbeitete er am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Doch, Griechenland ist zum Spielball der Spekulanten geworden. Den Teufelskreis aus steigenden Zinsen für griechische Anleihen und wachsender Panik müssen und können die Regierungen in Europa aber unterbrechen.

Kann man angesichts der griechischen Schulden allein die Finanzinvestoren verantwortlich für die Krise machen?

Siehe oben. Die eigentliche Ursache dieser Verwerfungen aber liegt tiefer. Griechenland und der Rest Südeuropas haben so hohe Schulden, weil sie zu wenig konkurrenzfähig sind. Das ist nicht nur deren Schuld, sondern auch Deutschland hat dazu erheblich beigetragen, indem es Lohndumping auf den internationalen Märkten betrieb.

Könnten die Griechen die Nerven verlieren, ihre Sparkonten räumen, die Banken zusammenbrechen, so dass wir auch in Deutschland in die nächste Bankenkrise kommen?

Diese Gefahr kann man nicht ignorieren. Aber wir sind ihr nicht hilflos ausgeliefert. Die Regierungen des Euro-Raumes haben genug Macht, gegen den Wahnsinn des Marktes vorzugehen und die Angst der Privatanleger zu zerstreuen. Glücklicherweise scheinen jetzt auch die Letzten in Berlin zu erkennen, dass Europa schlicht und einfach mit Kapital eine Überbrückung bieten muss.

Hat Deutschland die Hilfe zu lange blockiert?

Nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel hat man den richtigen Zeitpunkt zum Eingreifen verpasst. Schon vor einem Jahr hätte die große Koalition aus Union und SPD begreifen müssen, dass eine Euro-Anleihe zu niedrigen Zinsen aufgelegt wird. Das hätte die jetzige Krise verhindert, weil es die Abhängigkeit Griechenlands und anderer Defizitländer von den privaten Kapitalmärkten verringert hätte.

SPD, Linke und Grüne fordern, den Privatbanken einen Teil der Verluste aufzubürden. Richtig?

Das ist Quatsch. Viele Banken sind immer noch selbst gefährdet, andere zocken mit. Hier geht es darum, den Markt in seine Schranken zu verweisen - dazu holt man ihn nicht ins Boot.

Wieso so milde?

Das hat nichts mit Milde zu tun. Ich sage: Hier gibt es keine Verluste abzuschreiben. Griechenland bedient seine Staatsanleihen und zahlt die Zinsen. Das Land ist nicht zahlungsunfähig. Damit das so bleibt, braucht es ein paar Milliarden Euro auf dem Umweg, dass andere Regierungen den Engpass am Kapitalmarkt überbrücken. Dann ist der Spuk der sogenannten Schuldenkrise sofort vorbei. Für ganz Europa wird dabei kein Cent mehr an Staatsverschuldung entstehen. Es handelt sich um Kredite, nicht Geschenke.

Was wäre nach der Überwindung der akuten Krise zu tun?

Deutschland muss darauf verzichten, die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft weiter auf Kosten anderer Nationen zu steigern. Konkret bedeutet das: Die Löhne der Beschäftigten sollten hier stärker zunehmen. Deutschland würde selbst dann für lange Zeit seine Marktanteile halten. Deutsche Waren würden aber allmählich relativ teurer und die anderen billiger. Der Export der Mittelmeerländer nähme zu, ihre Einnahmen stiegen, die Verschuldung sänke.

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