Kampfansage an Kapuzenträger

LINKSEXTREMISMUS Wie Bund und Länder linke Gewalt bekämpfen wollen

HAMBURG taz | Es geschehen seltsame Dinge in der linksradikalen Szene. In der Nacht auf den 5. Mai greifen Polizisten drei Männer in Ziegenhals bei Berlin auf. Die drei haben ein gefälschtes Nummernschild an ihrem Auto und einen Brandsatz dabei. Sie wollten, so vermutet die Polizei, einen Bagger anzünden, der zum Abriss einer einstigen Ernst-Thälmann-Gedenkstätte bereitstand. Zwei von ihnen sind Aktivisten einer Organisation, von der viele wohl vermutet hätten, dass es sie gar nicht mehr gibt: der FDJ. Bisher, so sagte ein verwunderter Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) diesen Mittwoch im Verfassungsschutzausschuss, seien die rund 200 übrig gebliebenen DDR-Nostalgiker von der FDJ eigentlich weder als gewaltbereit noch als militant eingeschätzt worden. Bisher.

Der Vorfall ist Teil einer Entwicklung, die die Sicherheitsbehörden beunruhigt, Kritiker sagen: hysterisch werden lässt. Da ist etwa der Angriff von 20 Autonomen auf eine Polizeiwache in Hamburg im Dezember, zu dem sich die ominöse Gruppe „Koukoulofori“ – griechisch für „Kapuzenträger“ – bekannte. Da sind die abgefackelten Autos der Posttochter DHL, die wegen Aufträgen für die Bundeswehr in der Szene nur „Deutsche Heeres Logistik“ genannt wird. Und da sind „Feinderkennungs“-Flyer, in denen aufgefordert wird, Soldaten „anzupöbeln, zu denunzieren, anzugreifen“. O-Ton: „Ab General: Nicht zögern. Reinhauen. Und zwar richtig.“

Im Jahr 2009 haben Gewalttaten von links um mehr als 50 Prozent auf 1.822 zugenommen. Die Verfassungsschützer zählen inzwischen bundesweit 6.600 gewaltbereite Aktivisten in der linken Szene. 2005 waren es noch 5.500.

Auf der am Freitag zu Ende gegangenen Innenministerkonferenz wurde auch über ein bundesweites Konzept zur Bekämpfung linker Gewalt gesprochen, an dem federführend das BKA in Wiesbaden arbeitet. Es beinhaltet nach Medienberichten die Verdopplung des für Linksextremismus zuständigen Personals beim Bundesverfassungsschutz und eine Anwerbeoffensive von V-Leuten in der linken Szene. Wie der Spiegel berichtete, ist auch daran gedacht, „virtuelle Agenten“ im Internet einzusetzen. Die sollen durch den Aufbau von Blogs „bestimmte Personengruppen“ anlocken wie ein Honigtopf die Bären. Es ist nicht weniger als eine Kampfansage an die radikale Linke.

Ergänzt werden sollen die Maßnahmen durch Präventionsprogramme des Bundesfamilienministeriums. In diesem Jahr steckt Familienministerin Kristina Schröder (CDU) erstmals 2 Millionen Euro in die Entwicklung solcher Projekte, im nächsten Jahr sollen es 5 Millionen sein. Verwunderung hat sie allerdings durch die Auswahl der Projektträger ausgelöst. Es sind zwei Einrichtungen, die bisher nicht durch Expertise in dem Bereich aufgefallen sind und fernab der großstädtischen Brennpunkte liegen: der Jugendhof Scheersberg bei Flensburg und eine Jugendbildungsstätte in Weimar. Eine „Hilflosigkeit, die einen erschaudern lässt“, attestierte Berlins SPD-Innensenator Körting der Familienministerin am Rande der Innenministerkonferenz.

Die Fokussierung auf den Linksextremismus behagt nicht allen. Die Opposition im Bundestag befürchtet, dass dadurch die braune Gefahr verharmlost wird. Grünen-Chef Cem Özdemir verweist genauso wie der Vorsitzende der Anti-Neonazi-Initiative „Gesicht Zeigen“, Uwe-Karsten Heye, auf die mehr als 140 Todesopfer durch rechte Gewalt seit der Wende. „Damit beantwortet sich die Frage nach dem notwendigen Schwerpunkt bei der Extremismusbekämpfung“, sagte Özdemir vor Kurzem der taz.

Der Marburger Jugendforscher Benno Hafenegger sieht das ähnlich, hat aber noch ein anderes Problem. Er findet, man wisse bisher viel zu wenig über links motivierte Gewalt, um sinnvolle Präventionsprojekte zu entwickeln. „Es gibt nicht eine gute Studie“, sagte er und warnte vor Schnellschüssen. Auch in Sicherheitskreisen fragt man sich, wie eine Linksextremismus-Prävention funktionieren soll. „Soll dann jemand in die Schulen gehen und den Kindern sagen: ‚Steine werfen ist doof?‘“, fragt sich ein ranghoher Beamter.

Zu einer unaufgeregten Analyse gehört auch, dass vieles von dem, was unter dem Label „linksextreme Gewalt“ verhandelt wird, nichts mit der linken Szene zu tun hat. Von den 320 Brandanschlägen auf Autos im vergangenen Jahr in Berlin wurde nach Einschätzung der Polizei vermutlich gerade mal die Hälfte aus politischen Motiven verübt. In Hamburg war sogar nur bei jeder sechsten Autobrandstiftung ein linker Hintergrund zu vermuten. Mal steckte Versicherungsbetrug dahinter. Mal einfach nur Liebeskummer.

Auch die Krawalle am 1. Mai haben oft wenig mit „linken Chaoten“ zu tun, wie der Boulevard gern schreibt. Eine Analyse der Freien Universität Berlin zum 1. Mai 2009 deutet darauf hin, dass der überwiegende Teil der Gewalttäter nicht explizit links ist, sondern einfach Bock auf Randale hat. So räumt auch der Hamburger Verfassungsschutzchef Heino Vahldieck ein: „In vielen Fällen ist das ziellose, sinnentleerte Gewalt ohne politische Botschaft.“ WOLF SCHMIDT