Das Mandat zum Töten

RECHTSKUNDE Das Mandat des Bundestags erlaubt militärische Gewalt in Afghanistan – und die Bundeswehr darf gezielte Tötungen unterstützen

FREIBURG taz | Ist es vom Mandat des Bundestags gedeckt, wenn die Bundeswehr den US-Truppen bei der gezielten Tötung (targeted killing) von Taliban hilft? War der Bundestag über die Vorgänge in Afghanistan ausreichend informiert, als er sein Mandat beschloss? Beide Fragen, die sich nach Veröffentlichung der Afghanistanprotokolle stellen, sind zu bejahen.

In Afghanistan findet ein Krieg statt, oder wie es Völkerrechtler sagen: ein bewaffneter Konflikt. Das Mandat der Bundeswehr beschränkt sich deshalb keineswegs auf den Bau von Brücken und Schulen, sondern beinhaltet einen klaren militärischen Auftrag: „Unterstützung der Regierung von Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit“, so heißt es im jüngsten Mandat, das der Bundestag am 26. Februar 2010 beschlossen hat. Die Bundeswehr ist dabei Teil der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe Isaf.

Über die Isaf heißt es im Bundestagsmandat: „Isaf ist autorisiert, alle erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt, zu ergreifen.“ Das deckt sich mit der jüngsten Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 8. Oktober 2009. Dort heißt es: „Der Sicherheitsrat […] ermächtigt die an der Isaf teilnehmenden Mitgliedsstaaten, alle zur Erfüllung ihres Mandats notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.“ Die Isaf-Truppe kann damit militärisch alle Maßnahmen ergreifen, die völkerrechtlich zulässig sind.

Für Aufregung sorgt jetzt vor allem die US Task Force (TF) 373, die versucht, wichtige Taliban gezielt festzunehmen oder zu töten. Die Bundeswehr unterstützt diese Strategie zumindest dadurch, dass sie die TF 373 auf ihrem Stützpunkt in Masar-i-Scharif beherbergt. Außerdem soll die Bundeswehr auch acht mutmaßliche Aufständische auf die sogenannte Feindesliste der Isaf (Joint Prioritized Effects List) gesetzt haben. Zwei von ihnen wurden nach Agenturangaben inzwischen getötet, allerdings nicht bei gezielten Tötungen der TF 373. Vielmehr starb einer im Gefecht mit afghanischen Truppen, der andere, als eine Festnahme fehlschlug.

Das gezielte Töten von gegnerischen Kämpfern ist im bewaffneten Konflikt erlaubt. Bei nichtstaatlichen Aufständischen wie den Taliban ist aber manches noch nicht endgültig geklärt. Gelten sie außerhalb konkreter Kampfhandlungen als geschützte Zivilisten? Oder dürfen sie per Raketenbeschuss auch nachts im Bett getötet werden, wie es die USA häufig praktizieren? Viele Völkerrechtler orientieren sich derzeit an einem Gutachten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), das solche Tötungen unter bestimmten Bedingungen für zulässig hält. Konkret verlangt das IKRK, dass sich der Aufständische kontinuierlich an Kämpfen beteiligt und eine gefahrlose Festnahme anders nicht möglich ist. Es spricht also viel dafür, dass die gezielte Tötung von Taliban-Kämpfern völkerrechtlich zulässig ist.

Die Unterstützung der Bundeswehr für die TF 373 dürfte damit vom Mandat des Bundestags gedeckt sein. Der Bundestag ist dabei auch nicht hintergangen worden. Vielmehr war die Stationierung der US-Einheit und deren Auftrag sogar allgemein bekannt. So schrieb etwa Spiegel Online am 5. September 2009: „Ausgerechnet im deutschen Stützpunkt Masar-i-sharif rückt nun aber deren ‚Task Force 373‘ mit etwa 300 Mann ein. Sie sollen im Rahmen der Anti-Terror-Operation ‚Enduring Freedom‘ gezielt Jagd auf Taliban und Terroristen machen.“ Anschließend wurde das deutsche Afghanistanmandat im Bundestag noch zweimal beschlossen, am 3. Dezember 2009 und am 26. Februar 2010 – mit erhöhter Truppenstärke. Wenn die Abgeordneten der Bundeswehr aus politischen Gründen bestimmte Handlungen und Kooperationen ausdrücklich verbieten wollten, dann müssten sie das künftig explizit im Mandat erwähnen. Derzeit lassen die Mandate alles im Unbestimmten, schließen also auch nichts aus.

Keine Angaben macht das Mandat zur Tätigkeit der deutschen Task Force 47 in Afghanistan. Sie besteht etwa zur Hälfte aus Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) und hat auch die Aufgabe, Personen auszuspähen oder festzunehmen. Im Vorjahr sagte das Verteidigungsministerium dem Spiegel, es trage Taliban nur in der Spalte „capture“ (Festnahme) in die Feindesliste ein, nicht in die Spalte „capture/kill“. CHRISTIAN RATH