Eine Nation und ein Gott mit vielen Namen

11. SEPTEMBER US-Präsident Barack Obama versucht die aufgeheizte Stimmung im Land zu beruhigen

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

„Angespanntes Gedenken“, steht am Tag danach auf der ersten Seite der Washington Post. Die New York Times bringt die Überschrift „Gräben bei der Trauerfeier“. Und das Time Magazine titelt: „Zerwürfnis bei der Erinnerung“. Der neunte elfte September nach den Attentaten von New York und Washington und dem Absturz von Flug Nummer 93 in Pennsylvania war der bislang härteste. Mit Hass. Mit Gewaltdrohungen. Mit Schreien. Mit einem religiös inspirierten Psychodrama aus Florida mit weltweitem Echo. Und mit gegeneinander gerichteten Demonstrationen am Rand von Ground Zero, zwischen denen die Polizei für Abstand sorgt.

Inmitten der geladenen Atmosphäre in den USA versucht Barack Obama Ruhe und Überblick zu wahren. „Amerika wird nie Krieg gegen den Islam führen“, sagt der US-Präsident. Er spricht im Verteidigungsministerium in Washington, bei der Gedenkfeier für die Opfer im Pentagon. Und er erinnert daran, dass nicht etwa eine Religion die USA angegriffen hat. Sondern al-Qaida. Obama: „Eine jämmerliche Bande von Männern, die die Religion missbrauchen.“

In den Tagen zuvor hat der fundamentalistische Pastor Terry Jones von Gainesville in Florida aus eine mediale Blitzkarriere gemacht, nachdem er erklärt hatte, dass er am 11. September den Koran verbrennen werde. Es war ein tagelanges Hin und Her. Der Pastor berief sich in seinen Pressekonferenzen auf „Gott“ und auf das Recht auf Meinungsfreiheit, das ihm die US-Verfassung garantiert. Unterdessen appellierten der US-Oberbefehlshaber in Afghanistan, der Präsident, mehrere Minister und ein großer Teil der religiösen Öffentlichkeit an seine patriotische Moral. Ihr Hauptargument war: Eine Koranverbrennung würde das Leben von US-Soldaten gefährden. Wenige Stunden vor dem 11. September machte der Pastor (wieder auf einer Pressekonferenz) einen „Hinweis von Gott“ geltend. Flog nach New York, wo er versuchen will, über eine Verlagerung des zwei Block von Ground Zero geplanten islamischen Zentrums an einen anderen Ort zu verhandeln. Und versichert seitdem, „niemals“ würde er einen Koran verbrennen.

Doch das Übel war längst angerichtet. Und nicht nur von dem Pastor allein. In den USA ist Wahlkampf. Und erstmals überschattet er auch eine Gedenkfeier zum 11. September. Vor zwei Jahren noch hatten die beiden Präsidentschaftskandidaten, der Republikaner John McCain und Obama, ihre Kampagne für die Gedenkfeiern unterbrochen. Doch dieses Mal, knapp zwei Monate vor den Halbzeitwahlen, bei denen ein Teil der Sitze im Kongress neu besetzt wird, hat die Opposition keine Pause eingelegt.

Seit Wochen hat sich der lauteste Flügel der Republikaner, die „Tea Party“-Bewegung, auf den Islam eingeschossen. Landesweit demonstriert und petitioniert die Tea Party gegen religiöse Zentren des Islam. Einer Religion, die in dem Land nur minimal vertreten ist. Unter den rund 300 Millionen EinwohnerInnen der USA befinden sich nur rund 2,5 Millionen Muslime. In Deutschland (80 Millionen EinwohnerInnen) bekennen sich deutlich mehr Menschen zum Islam.

An der Adresse 45 Park Place in Manhattan, zwei Block von Ground Zero, wo das Islam-Zentrum geplant ist, konzentriert sich am Gedenktag die Islam-Debatte im Land. Mehr als 1.500 Menschen versammeln sich am Vormittag, um ihre Unterstütztung für das Projekt zu zeigen. „Die Leute, die hier beten wollen, sind genauso unschuldig wie du und ich“, sagt eine Demonstrantin. Das klingt wie ein Echo auf einen anderen Satz, den Obama am Vortag gesagt hat: „Wir sind eine Nation unter einem Gott – egal wie wir ihn nennen.“

An der Gegendemonstration beteiligen sich mehr als 2.000 Menschen. „Stoppt die Islamisierung Amerikas“, steht auf ihren Transparenten. Und: „Keine Moschee auf unserem Friedhof.“ Unter anderem nutzt auch der niederländische Rechtsextremist Geert Wilders die Gelegenheit, um seine Reichweite zu vergrößern. „Wir dürfen uns nicht unterwerfen“, sagt er am 11. September in New York City.

Unterdessen versucht der Milliardär Donald Trump das Problem mit Geld aus der Welt zu schaffen: Er hat dem Imam Feisal Rauf, dem Mann, der das Projekt entwickelt hat, angeboten, das Grundstück am Park Place zu kaufen.

Nächstes Jahr dürfte die Situation bei den Gedenkfeiern weiter eskalieren. Dann ist der 10. Jahrestag. Und die USA stehen vor dem nächsten Präsidentschaftswahlkampf.