Überhöhte Rechnung

AUSSTIEG Die Angaben über die Kosten eines Ausstiegs schwanken zwischen 400 Millionen und 2,9 Milliarden Euro. Kritiker bemängeln Zahlen der Bahn

BERLIN taz | In der Frage, wie sich das Projekt „Stuttgart 21“ noch stoppen lässt, spielt der Preis eines Ausstiegs eine entscheidende Rolle – und die Angaben gehen weit auseinander.

Die Bahn nennt bisher eine Summe von 1,4 Milliarden Euro für den unmittelbaren Ausstieg: Größter Posten dabei ist die Rückabwicklung eines Vertrags mit der Stadt Stuttgart: Im Jahr 2001 hatte diese der Bahn 460 Millionen Euro für die Grundstücke bezahlt, auf denen derzeit die oberirdischen Gleise liegen, die bei einem unterirdischen Bahnhof nicht mehr benötigt werden. Bei einer Rückabwicklung müsste diese Summe zuzüglich 284 Millionen Euro Zinsen zurückgezahlt werden.

Zudem sind nach Angaben der Bahn bisher 260 Millionen Euro für Planung und Bau des unterirdischen Bahnhofs ausgegeben worden. Bereits vergeben sind zudem Bauaufträge von 240 Millionen Euro. Weitere 170 Millionen flossen in die Planung der Neubaustrecke nach Ulm.

Die Kritiker von „Stuttgart 21“ halten diese Rechnung für unseriös. Christian Böttger, Bahnexperte an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin, argumentiert etwa, dass die Rückabwicklung des Grundstücksgeschäfts keine realen Kosten verursache. „Das Geld wäre ja nicht weg, sondern würde von der Bahn an die Stadt Stuttgart zurückgegeben“, sagt er. Zudem dürften die Kosten für die Neubaustrecke nach Ulm nicht eingerechnet werden, weil diese auch unabhängig vom unterirdischen Durchgangsbahnhof in Stuttgart gebaut werden könne. Und bei den vergebenen Bauaufträgen sei fraglich, ob bei einem Projektstopp tatsächlich die ganze Summe bezahlt werden müsse. „Die realen Kosten des Ausstiegs aus ‚Stuttgart 21‘ liegen damit bei 400 bis 500 Millionen Euro“, sagt Böttger.

Der Bahn-Experte befürchtet allerdings, dass die Kosten weiter steigen. „Um das Projekt unumkehrbar zu machen, werden derzeit vermutlich mit vollen Händen neue Aufträge vergeben“, so Böttger. Dafür spricht, dass der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Peter Hauk, aktuell bereits von 2 Milliarden Euro Ausstiegskosten ausgeht. Welche realen Kosten bis zum Termin der Landtagswahl neu entstehen werden, können auf Anfrage weder die Bahn noch das Kommunikationsbüro „Stuttgart 21“ beantworten.

Mit den direkten Ausstiegskosten wäre es aber nicht getan: Zudem müsste in den bestehenden Stuttgarter Bahnhof investiert werden, wenn dieser weiter genutzt würde. Hier spricht die Bahn offiziell von 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro. In einem internen Papier der Bahn vom Dezember 2009, das der taz vorliegt, finden sich hingegen andere Zahlen: Bis zum Jahr 2020 werden bei einem Ausstieg aus „Stuttgart 21“ demnach nur 340 Millionen Euro für nötig gehalten. Eine höhere Angabe von 1,35 Milliarden Euro bezieht sich auf einen sehr langfristigen Zeitraum – nämlich bis 2054. MALTE KREUTZFELDT