„Ich bin sehr zufrieden“

REGELSÄTZE Der Armutsforscher Richard Hauser hält die bisherigen Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung von Hartz-IV-Regelsätzen für mangelhaft. Auch das Lohnabstandsgebot findet er falsch und überflüssig

■ geb. 1936 in München, war bis 2002 Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere für Verteilungs- und Sozialpolitik an der Universität Frankfurt am Main. Hauser gilt als einer der renommiertesten Armutsforscher in Deutschland.

taz: Herr Hauser, das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die Methode zur Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze ist verfassungswidrig. Sind Sie zufrieden?

Richard Hauser: Ich bin sehr zufrieden. Wir Armutsforscher haben immer gesagt, dass die Berechnungen zu einem äußerst knappen Ergebnis führen. Das liegt auch daran, dass sie auf alten Datengrundlagen beruhen.

Was genau kritisieren Sie an der Berechnung?

Zugrunde gelegt wird die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, EVS. Zur Berechnung der Hartz-Regelsätze werden aus der EVS die Konsumausgaben der untersten 20 Prozent der Alleinstehenden – ohne Sozialhilfeempfänger – herangezogen. Von diesen Werten sind Abschläge für die Berechnung der Hartz-Sätze gemacht worden, die in einigen Fällen nur schwer zu begründen sind, gerade auch bei Kindern. Die Berechnungsgrundlage ist mangelhaft.

Wie könnte eine andere Berechnung aussehen?

Man wird sich auch weiterhin auf das Statistikmodell der EVS stützen müssen, weil es nichts Besseres gibt. Bis 1980 legte ein Expertengremium fest, wie viel ein Kind an Nahrung oder Kleidung braucht. Dieses freihändige Verfahren wäre aber noch undurchsichtiger als das derzeitige. Bleibt man bei der EVS, müsste man einkommensspezifische Kategorien bilden: Nicht nur die Alleinlebenden, darunter viele Studenten, müssen zur Berechnung herangezogen werden, sondern alle Familientypen. Die Niedriglohngruppen und 400-Euro- oder Minijobs muss man hingegen aus der Berechnung herausnehmen, es sollten nur Vollzeittätigkeiten und Stundenlöhne über sieben oder 7,50 Euro in die Berechnung einfließen. Wenn man von dieser neu gebildeten Gruppe dann die Konsumausgaben der untersten 20 Prozent nimmt, kommt man zu einem passenderen Ergebnis – auch für die Bedürfnisse der Kinder. Es ist dann eine politische Entscheidung, ob man davon für Hartz-IV-Bezieher 10 oder 20 Prozent Abschlag vornimmt.

Wenn, angeschoben durch das Urteil, die Regelsätze erhöht werden, lebt sicher wieder die Diskussion um das Lohnabstandsgebot auf.

Ich halte das Lohnabstandsgebot für falsch und überflüssig, es sollte beseitigt werden. Die Figur, die dem zugrunde liegt, ist ein Alleinverdiener mit nichterwerbstätiger Ehefrau und drei minderjährigen Kindern. Die kann ein Geringverdiener doch gar nicht ernähren. Wie überholt die Lohnabstandsklausel ist, werden wir sehen, wenn das Existenzminimum neu berechnet werden muss. Derzeit liegt ein existenzminimaler Lohnsatz für einen Alleinstehenden bei circa sieben Euro pro Stunde. Dann ist ein Alleinstehender noch oberhalb der Hartz-Grenze. Wenn diese Grenze erhöht wird, muss sich auch der erforderliche Mindestlohn für eine Person, die Vollzeit arbeitet, erhöhen. Leute, die bei voller Arbeitszeit weniger verdienen, können nicht als Maßstab dienen. Das zeigt wieder einmal, dass wir einen ausreichenden, allgemeinen Mindestlohn brauchen. INTERVIEW: EVA VÖLPEL