„Hilfe ist nicht verboten“

RECHTSLAGE Der Rechtsprofessor Franz Mayer räumt wahrscheinlichen Klagen gegen Griechenland-Kredite keine Chancen ein

■ 41, ist Professor für Öffentliches Recht und Europarecht an der Uni Bielefeld. Im Verfassungsstreit über den EU-Lissabon-Vertrag vertrat er den Bundestag gegen linke und rechte Kritiker.

taz: Herr Mayer, gegen die geplanten Hilfskredite für Griechenland sind Verfassungsbeschwerden angekündigt. Schon nächste Woche soll der Bundestag die Hilfen beschließen. Muss die Politik mal wieder vor Karlsruhe zittern?

Franz Mayer: Nein. Das Verfassungsgericht wird sich wohl kaum in das Management der Währungsunion einschalten. Es geht hier im Wesentlichen um Ökonomie und Währungspolitik, nicht um rechtliche Fragen.

Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) schließt aber eine kollektive Haftung für die Defizite einzelner Euroländer aus. Ist das keine rechtliche Frage?

Die sogenannte No-bail-out-Klausel besagt, dass kein Eurostaat einen Anspruch auf Hilfe hat, wenn ihm die Schulden über den Kopf wachsen. Weder die EU muss haften noch die anderen Eurostaaten. Griechenland kann also keine Hilfe einklagen.

Heißt das im Umkehrschluss: Hilfe für Griechenland ist durchaus zulässig?

So sehe ich das. Hilfe ist zwar nicht erzwingbar, aber auch nicht verboten. Und sie ist vor allem dann nicht verboten, wenn sie von den einzelnen Staaten kommt. Es ist ja nicht so, dass derzeit die EU Deutschland zwingt, Griechenland zu helfen. Vielmehr haben sich die EU-Staaten aus eigenem Interesse entschieden, Griechenland günstige Kredite zu geben. Die EU koordiniert diese Hilfen nur. Es wäre ja auch widersinnig, wenn EU-Recht eine Stabilisierung der Währungsunion verbieten würde.

Verändert aber nicht die EU ihren Charakter, wenn nun die Staaten sich in der Krise gegenseitig Hilfszahlungen gewähren? Wird die EU dadurch nicht staatsähnlicher?

Nein. Es handelt sich ja um keinen Automatismus, sondern um eine Einzelfall-Entscheidung, die durchaus mit den Eigeninteressen der Helfer übereinstimmt. Es geht auch nicht um einen Finanzausgleich zur Angleichung der Lebensverhältnisse, sondern um Kredite, ich wiederhole: Kredite, in einer Notlage.

Die Klägergruppe um den Rechtsprofessor Karl-Albrecht Schachtschneider will dennoch das Verfassungsgericht anrufen. Sie sehen durch die drohende Inflation ihr Grundrecht auf Eigentum verletzt – zu Unrecht?

Auf ihre Grundrechte müssen sie sich aus formalen Gründen berufen, um klagen zu können. Ich halte das aber für sehr weit hergeholt. Schachtschneider ist mit dieser Argumentation ja 1998 schon einmal gescheitert, als er gegen die Einführung des Euro klagte. Das Bundesverfassungsgericht hat damals klargestellt, dass es in der Währungspolitik einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum gibt. Deshalb werden die Richter sich auch diesmal kaum den Schuh anziehen, dass sie am besten wissen, was für die Stabilität der gemeinsamen Währung gut ist.

Geplant ist, dass der Bundestag, die Griechenhilfe per Gesetz absegnet. Ist ein derartiges Gesetz wirklich erforderlich?

Karlsruhe hat 1998 gesagt, die Bundesregierung und das Parlament haben die „Fortentwicklung der Währungsunion politisch zu begleiten und zu verantworten“. Schon daraus kann man den Schluss ziehen, dass eine so wichtige Entscheidung wie die Gewährung von Milliardenkrediten an Griechenland vom Bundestag per Gesetz beschlossen werden muss. Jedenfalls ist die Politik so juristisch auf der sicheren Seite.

Unter dem Strich hat es sich für Griechenland rentiert, dass die Aufnahme in die Währungsunion einst mit falschen Zahlen ertrickst wurde …

Hier hat die EU wirklich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Solche Lügen sind kriminell und dürfen sich nicht lohnen. Soweit es keine Handhabe gibt, die damals Verantwortlichen strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen, ist sie für künftige Fälle zu schaffen, vielleicht sogar auf EU-Ebene. Es wäre jetzt aber ganz falsch, wegen dieser Vorgeschichte die Kredite an Griechenland zu verweigern oder gar zu verbieten. Das würde ja vermutlich ganz Europa in Schwierigkeiten stürzen.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH