Zirkus Sarrazani

BUCHPRÄSENTATION Sarrazin stellt sein Buch vor und überlässt es Necla Kelek, seine These zu verteidigen

■ Wer Thilo Sarrazins Buch am Montag selbst lesen wollte, hatte es schwer: „Das Buch ist derzeit vergriffen, der Verlag hat Lieferschwierigkeiten“, sagt eine Verkäuferin im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin. Frühestens am Mittwoch sei es wieder erhältlich. Beim Onlineversandhändler Amazon soll das Buch erst in acht bis neun Tagen versandfertig sein – obwohl es bereits seit Tagen auf Platz eins der Bestsellerliste rangiert. „Wir haben mit einer Startauflage von 25.000 Exemplaren angefangen“, sagte eine Sprecherin der Deutschen Verlags-Anstalt, die das Buch herausgibt. Man habe die Nachfrage einfach unterschätzt. Mittlerweile werde die vierte Auflage gedruckt, insgesamt sollen dann 150.000 Exemplare in den Buchhandlungen stehen. Das soll nach Ansicht des Verlags reichen, weitere Auflagen seien derzeit nicht geplant. Wer eines der raren Exemplare erwischt hat, zögert jedoch nicht, der Welt seine Meinung kundzutun: Innerhalb von fünf Tagen haben allein bei Amazon mehr als 50 Leser das Buch rezensiert. (sve)

Rassismusvorwurf und ein jüdisches Gen, Forderungen nach Rausschmiss und Kanzlerinkritik – die erhitzte Debatte der vergangenen Woche verspricht einiges. Vor der Bundespressekonferenz warten auch schon rund hundert Demonstrantinnen und Demonstranten, die Thilo Sarrazins Ausschluss aus der SPD und aus dem Vorstand der Bundesbank fordern oder ihm schlichtes „Halt’s Maul“ entgegenhalten.

Wer in das Gebäude will, muss einer Polizistin seinen Presseausweis zeigen. Die Schlange reicht bis zur Eingangtür, drinnen sind mehr Journalisten als draußen Demonstranten. Im Saal aber, wo der Verlag zur Vorstellung von Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ eingeladen hat, geht es ruhig zu. Keine Proteste, keine Plakate, keine Zwischenrufe.

Als Sarrazin mit dem Verlagschef und der türkischstämmigen Soziologin Necla Kelek den Raum betritt, klatschen einige Journalistinnen und Journalisten verhalten. Dann verschwinden die drei hinter einem minutenlangen Blitzlichtgewitter.

Kelek stellt das Buch vor – und hat daran rein gar nichts auszusetzen. Den Rassismusvorwurf watscht sie als „Unkenntnis“ ab, auch Sarrazins krude Thesen zur Vererbbarkeit von Intelligenz stören Kelek nicht: Schon der gesunde Menschenverstand lege doch nahe, sagt sie, „dass die Völker Anatoliens und Ägyptens, die über Jahrhunderte von den Osmanen daran gehindert wurden, Lesen und Schreiben zu lernen, andere Talente vererbt bekommen als die Söhne von Johann Sebastian Bach“. Ohnehin habe keiner der Kritiker Sarrazin bislang widerlegt, behauptet die Soziologin und unterstellt wie so oft, hier solle eine dringend notwendige Debatte unterdrückt werden. Dabei, so Keleks Fazit, habe hier doch nur „ein verantwortungsvoller Bürger bittere Wahrheiten drastisch ausgesprochen“.

Sarrazin selbst wirkt zurückhaltend, als er ins Mikrofon spricht. „Warum ich dieses Buch geschrieben habe“, ist der Text überschrieben, den er nun vorliest. Darin ist von Verstehen und Gestalten die Rede, vom deutschen Staat und dem deutschen Volk, das langsam ausstirbt und auf dem Weg dahin immer dümmer wird. Und den muslimischen Migranten natürlich, bei denen sich – so Sarrazin – die Probleme qua „Herkunft aus der islamischen Kultur“ konzentrieren. Die Vererbungslehre und das jüdische Gen, von dem er am Wochenende in einem Interview schwadronierte, lässt Sarrazin zunächst außen vor. Erst als später eine Journalistin danach fragt, zieht er sich auf Presseberichte zurück, nach denen Studien „gemeinsame genetische Wurzeln der Juden“ belegen. Mittags dann schiebt der Verlag per Mail eine Erklärung nach, in der Sarrazin weiter zurückrudert.

Viele der Fragen der Journalisten sind zahm. Auf die kritischen antwortet Sarrazin nicht oder verweist auf sein Buch. „Sie haben mein Buch wohl noch nicht gelesen“, watscht er eine Hörfunkfrau ab, „danach werde ich Sie zum Gespräch empfangen.“ Kollegen aus Holland haken nach: „Ist Sarrazin der neue Geert Wilders?“, will einer von ihnen wissen. Die Tendenz zu rechtsradikalen Parteien finde er gefährlich, sagt Sarrazin, deshalb müsse man die Probleme ja benennen. Draußen demonstriert ein Bündnis gegen Rechtspopulismus. SABINE AM ORDE