Muslime in den USA nach 9/11: Die Moschee im Bibelgürtel

Der geplante Neubau einer Moschee spaltet das gläubige Murfreesboro. Muslime müssen sich Verdächtigungen erwehren – und können dem Streit doch was abgewinnen.

"Ein Ort, an dem es sich gut leben lässt": Bürgermeister Ernest Burgess, Imam Ossama Bahloul. Bild: dorothea hahn

MURFREESBORO taz | Wer in Murfreesboro an gar keinen Gott glaubt, ist auf verlorenem Posten. Entlang der Ausfallstraßen stehen mehr Tempel als Geschäfte. Leuchtschilder werben für Gottesdienste, Prediger oder "Nächstenliebe" und "Mitgefühl." An Wochenenden kommen in den größeren Tempeln tausende Gläubige zusammen. Zu Ostern füllen Betende das Sportstadion. Der Verlag Schwert des Herrn verbreitet von hier aus evangelikale Texte in alle Welt. Und auf dem Vorplatz des Rathauses liegt eine dicke Bibel in einem Glaskasten.

Murfreesboro liegt im Bundesstaat Tennessee und mitten im "Bibelgürtel" der USA. "Es ist ein Ort, an dem sich gut leben lässt, mit warmherzigen, aufgeschlossenen Leuten", schwärmt Ossama Bahloul. Vor sechs Jahren wurde der 36-jährige gebürtige Ägypter mit US-Staatsbürgerschaft Imam der hiesigen Moschee - und in diesem Sommer geriet er erstmals an die Grenzen der Freundlichkeit.

Plakate tauchten auf, die dazu aufriefen, den geplante Moscheeneubau zu verhindern. Prediger machten Stimmung, im Rathaus erklärten empörte Bürger, dass sie Unternehmen "boykottieren" würden, die "für die Muslime" arbeiten. Laurie Cardoza-Moore, eine Dokumentarfilmerin aus der Region, die einen Kreuzzug gegen "terroristische Ausbildungslager" in den USA führt, warnte in Interviews mit großen Sendern wie Fox und CNN vor der "Megamoschee" im ländlichen Tennessee. Schließlich wurde Ende August auf der Baustelle ein Bagger in Brand gesetzt.

Camie Ayash kratzte den Sticker "Glaubensfreiheit gilt für alle Religionen" von ihrem weißen Allradantrieb-Auto, als sie von der Brandstiftung erfuhr. Nachdem sie auch in einem Interview mit einem Fernsehsender von ihrer Angst gesprochen hatte, erhielt sie ein E-Mail von einer anderen Muslimin. "Sei vorsichtig, aber beruhige dich", stand darin: "Was passieren soll, passiert." Das war der Kick, den die Sprecherin der islamischen Gemeinde von Murfreesboro, brauchte. Seither verteidigt Camie Ayash in den Medien selbstbewusst das Recht auf eine neue Moschee. "Die alte platzt aus alten Nähten", sagt sie und beteuert, dass sie der FBI einschalten würde, wenn jemand in ihrer Gemeinde Sympathien mit Terroristen hätte. Und sie lädt die andere Seite zum Gespräch ein: "Damit wir ihnen zeigen können, dass sie sich irren", sagt sie.

Camie Ayash trägt den Hidschab, das islamische Kopftuch. Aber sie kann keinen arabischen Satz sagen. Eine religiöse Erziehung bekam die Tochter eines New Yorker Polizisten und einer Büroangestellten nicht. Mit 16 heiratete die heute 32-Jährige einen kuwaitischen Geschäftsmann, der vor der Invasion des Irak in die USA geflohen war. Die beiden zogen in den Bibelgürtel, wo das Leben ruhiger ist, die Schulen besser und die Häuser größer sind. Sie wurde Computertechnikerin und konvertierte zum Islam. Im nächsten Monat bekommt sie ihr viertes Kind.

Am Eingang zu dem L-förmigen Backsteingebäude, das die muslimische Gemeinde bislang als Moschee nutzt, hängt ein Fahndungsplakat. Darauf loben der FBI sowie die Behörde für Alkohol, Drogen und Feuerwaffen und der Sheriff von Murfreesboro gemeinsam 20.000 Dollar Belohnung für Hinweise aus, die zur Ergreifung der Brandstifter führen. Bei einer Pressekonferenz auf der Baustelle haben die Sprecher der drei Behörden erklärt, dass die Justiz wegen insgesamt fünf mutmaßlich antimuslimischer "hate crimes" in vier Bundesstaaten ermittelt.

Das Grundstück, auf dem in den nächsten Jahren Veranstaltungsräume, eine Moschee, ein Friedhof, ein Fußballplatz und ein Kindergarten entstehen sollen, war bislang ein Acker. Auf dem gleich großen Nachbargrundstück weht eine US-Fahne. Dahinter steigt das weiße Türmchen der "Grace Baptist Church" auf.

Die Baptistenkirche hat im vorigen Jahr eröffnet. Ihr Antrag wurde von der derselben Baukommission im Rutherford County bewilligt wie der Antrag der islamischen Gemeinde. "In beiden Fällen waren alle nötigen Bedingungen erfüllt", sagt Ernest Burgess. Der 70-jährige Republikaner hat am 1. September den Amtseid für sein zweites Mandat als Bürgermeister der 250.000 Einwohner des Rutherford County geleistet. Unter anderem unterschrieb er, dass er ohne Vorurteile" für die Glaubensfreiheit sorgen werde. "Die Religionsfreiheit ist eines unserer stärksten Prinzipien", sagt Burgess, der selbst in der Church of Christ betet, "ihre Einschränkung ist allenfalls unter zwingenden Umständen möglich."

Die Mitglieder der muslimischen Gemeinde von Murfreesboro beschreibt Burgess als "friedliche, gesetzestreue und gut ausgebildete Mitbürger". Eine öffentliche Geste nach der Brandstiftung, etwa einen Besuch beim Abendgebet in der alten Moschee, hat der Bürgermeister dennoch nicht gemacht. "Ich will in dieser Kontroverse neutral bleiben", sagt er.

Auf der anderen Seite der Veals Road - der "Straße der Kälber", an der schon jetzt die Kirche und demnächst eine Moschee steht, beginnt das Vorstadtidyll von Murfreesboro. Vor den Garagen der Einfamilienhäuser stehen drei Autos. Auch hier flattern US-Fahnen über den Eingängen. Die Häuser sind umgeben von großen, akkurat gemähten Rasenflächen.

Ein Bauunternehmer, der seit Beginn der Krise nur noch selten Aufträge hat, sagt: "Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber die meisten MURFREESBORO taz | Terroristen sind Muslime." Seinen Namen will er nicht nennen. Eine "Hausfrau und Mutter", die ebenfalls anonym bleiben will, findet die Landstraße "zu schmal und zu kurvenreich" für den zu erwartenden Autoverkehr zu der Moschee. Und ein leitender Angestellter, auch er mit weißer Hautfarbe, befürchtet, dass der Wert seiner Immobilie sinken werde. Alle versichern, dass sie "nichts gegen Muslime" hätten.

Ein paar Straßen weiter, wo die Häuser nicht mehr aus Stein, sondern aus Holz sind, zeigt ein afroamerikanischer Großvater Verständnis für das Bauvorhaben: "Ich protestiere ja auch nicht, wenn die Zeugen Jehovas einen neuen Tempel bauen wollen." Und ein blonder Mann, der sich selbst als "durchschnittlicher Arbeiter" beschreibt, sagt, dass er die Siedlung wegen ihrer ländlichen Atmosphäre schätze und weder einen Supermarkt noch eine Moschee hinter seinem Garten haben wolle.

Kevin Fisher, Gefängniswärter in der Bundeshauptstadt Nashville, alleinerziehender Vater und Mitglied der Republikaner und der Tea-Party-Bewegung, hat in seiner Kindheit Rassismus am eigenen Leib erfahren: als erstes schwarzes Kind in eine zuvor rein weißen Schule, in einer Kirchengemeinde, die keine schwarzen Mitglieder wollte.

Heute ist der 44-Jährige einer der Organisatoren der Demonstrationen gegen die Moschee, und er hat eine Petition ins Internet gestellt. Er nennt es "unhygienisch und gefährlich für die Grundwasserversorgung in der Nachbarsiedlung", wenn dort "Beisetzungen ohne Särge" stattfänden. Und er sagt, dass sunnitische Muslime "für 85 Prozent der Angriffe auf unsere Soldaten verantwortlich" seien. Religiöse Intoleranz und Rassismus weist Fisher von sich. Der Hauptgrund seines Protests sei, dass die Stadtverwaltung "die Bevölkerung von Murfreeesboro" nicht angehört habe. Sonst hätte sie, davon ist er überzeugt, diesen Standort für die Moschee nicht akzeptiert.

Auf Nachfrage verurteilt Fisher den Brandanschlag auf der Baustelle. Und sagt gleich hinterher: "Die Muslime machen daraus eine ziemlich große Sache daraus. Sie versuchen, die Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre nachzuahmen."

Das Ende des Fastenmonats Ramadan wird Saleh Sbenaty, Professor für Ingenieurswesen an der Middle Tennessee State University in Murfreesboro, dieses Jahr wieder in seiner muslimischen Gemeinde begehen. Seit der Wahl von Barack Obama spürt der gebürtige Syrer, wie in den USA die Ressentiments gegen den Islam stärker werden. "Natürlich schwingt da versteckter Rassismus mit", sagt er.

Normalerweise ist der Eid al-Fitr ein Freudenfest. Aber weil er dieses Jahr mit dem 11. September zusammenfällt, wird das Fest leiser ausfallen. "Es ist ein trauriges Datum", sagt Imam Ossama Bahloul.

In den zurückliegenden Wochen haben mehrere evangelikale Gemeinden Unterstützungsgebete für die Muslime abgehalten. Der Imam erhielt Freundschaftsbesuche von Pastoren und Grußbotschaften und Schecks aus dem ganzen Land. Von der "überwiegenden Mehrheit der Einwohner von Murfreesboro" fühlt er sich unterstützt. "Diese Krise", so glaubt der Geistliche, "wird unsere Beziehungen in der Stadt verbessern."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.