Das Band der Hoffnung

ESSAY Die Revolution in Ägypten schürt die Angst des Teheraner Regimes. Denn die Iraner lassen sich vom Tahrir-Platz inspirieren – und die Ägypter haben vom Iran gelernt

■ Amirpur, geb. 1971, ist Islamwissenschaftlerin und Publizistin. Sie lebt in Köln, wo sie als Kind eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren wurde. Zuletzt gab sie das Buch „Unterwegs zu einem anderen Islam. Texte iranischer Denker“ (2009) heraus.

VON KATAJUN AMIRPUR

Der Moderator des iranischen Rundfunks gab sein Bestes, den Enthusiasmus der Kairokorrespondentin zu bremsen. Immer wieder fiel er ihr ins Wort, als sie beschrieb: „Es sind Junge und Alte, die hier auf die Straße gehen, sie demonstrieren alle gemeinsam gegen die korrupte Elite, für Freiheit, für Gerechtigkeit …“ Korrupte Elite, Freiheit, Gerechtigkeit … – war da nicht was? Bei diesen Stichworten fällt dem iranischen Zuhörer unschwer der Sommer 2009 ein. Genau aus denselben Gründen wie jetzt die Ägypter waren Millionen von Iranern im Juni 2009 auf die Straße gegangen.

Damit sich daran bloß niemand erinnert, redet das Regime der Bevölkerung seit zwei Wochen seine eigene Interpretation der ägyptischen Proteste ein. Erst wurden sie auf Irans wichtigster Kanzel, der Teheraner Freitagspredigt, als „ein Nachbeben der Islamischen Revolution von 1979“ gerühmt. Dann befand Revolutionsführer Chamenei: „Das ist genau das, wovon wir ständig gesprochen haben, nämlich die islamische Erleuchtung.“

Sich von dieser Vereinnahmung zu distanzieren, sahen sich dann sowohl der ägyptische Außenminister wie auch die oppositionellen Muslimbrüder in ungewohnter Einigkeit gezwungen. Und ebenfalls auf die Anwürfe aus Teheran reagierend betonte der aus dem Exil nach Tunesien heimgekehrte Islamist Rashid al-Ghannouchi, er möchte sich eher mit dem Türken Tayyip Erdogan verglichen sehen als mit dem iranischen Revolutionsführer Chomeini.

„Es hat im Iran begonnen“

Doch nicht nur das Regime der Islamischen Republik versucht die Ereignisse in seinem Sinne zu deuten. Der iranische Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi schrieb auf seiner Internetseite: „Was wir heute in Ägypten sehen, hat 2009 im Iran begonnen.“ Als sicher dürfte gelten, dass Mussawi angesichts der anhaltenden Proteste auf politische Veränderungen hofft. Sie verschaffen ihm und seinen Unterstützern schon jetzt wenigstens eine größere Manövrierfähigkeit.

Expräsident Rafsandschani, der den Regierungsgegnern Mussawi, Mohammed Chatami und Mehdi Karrubi gegenüber verhältnismäßig offen eingestellt ist, wurde jetzt ein Zugeständnis gemacht, das man so deuten könnte, als sei Bewegung gekommen in den psychologischen Krieg zwischen Regime und Opposition. Nachdem der einflussreiche Rafsandschani mit wütenden Worten erklärt hatte, wer sich die Kritik seiner Gegner nicht anhöre, werde diese in den Untergrund und zum Umsturz treiben, verlautete aus dem Büro Chameneis, Rafsandschani dürfe demnächst die Teheraner Freitagspredigt halten.

Diese Kanzel ist als Medium für den politischen Betrieb Irans von großer Bedeutung, da alle Iraner die Möglichkeit haben, zu hören, was dort gesagt wird – was man von im Internet geäußerter Kritik nicht behaupten kann. Und weil das Regime nicht so tun kann, als habe es diese Kritik nicht vernommen. Rafsandschani durfte seit seiner berühmt gewordenen Freitagspredigt vom Juli 2009, als er die Demonstranten gegen Verschwörungstheorien verteidigte, dort nicht mehr sprechen. Die Ereignisse in Ägypten könnten bewirkt haben, dass das Regime die ernsthafte Angst vor der Macht des Volkes umtreibt – und es deswegen zu Konzessionen bereit ist.

Denn auch die Iraner rufen zu Demonstrationen auf. Am 14. Februar sollen die Straßen Teherans wieder grün werden, heißt es auf der Facebook-Seite 25. Bahman. Der Facebook-Aufruf zeugt von neu gewonnener Zuversicht. Das Datum ist klug gewählt. Es ist gerade nicht der 11. Februar, der iranische Revolutionstag, damit das Regime die Demonstranten nicht als Regimetreue vereinnahmen kann.

Fest steht jedenfalls, dass sich die Iraner von den Ägyptern haben inspirieren lassen, die per Facebook zur ersten Demonstration aufgerufen hatten. Und diese wiederum waren von den Iranern inspiriert: Die Grundidee der ägyptischen Facebook-Gruppe „Wir sind alle Khaled Said“, die eine Basis des Protests auf dem Tahrir-Platz ausmacht, stammt von iranischen Oppositionellen, die als die Facebook-Gruppe „Wir sind alle Madschid Tavakkoli“ überaus öffentlichkeitswirksam im Dezember 2009 gegen die Inhaftierung eines Kommilitonen protestierten.

Deshalb wird auf den iranischen Internetseiten auch selbstkritisch diskutiert, warum die Araber nun vermögen, was die Iraner nicht schafften: den Diktator aus dem Land zu jagen wie in Tunesien, oder ihn zumindest zu Konzessionen zu bewegen wie in Ägypten. Warum, wird gefragt, fangen wir Iraner immer als Erste an – Konstitutionelle Revolution 1905, Nationalisierung 1951, Islamische Revolution 1979 – und bringen es nie zum gewünschten Ergebnis? Warum haben wir nicht zu Ende bringen können, was im Sommer 2009 durchaus hoffnungsvoll begann?

Die Antwort darauf wissen viele – und sie stimmt nicht hoffnungsfroh für die in der kommenden Woche geplante Demonstration: Die ägyptische Armee hatte erklärt, sie werde nicht auf die Demonstranten schießen. Dies trug sehr stark zum Erfolg der Bewegung bei. Dass eine Armee nur schwer einsetzbar ist gegen das eigene Volk, wusste allerdings schon Chomeini. Denn auch die Armee des Schahs hatte sich 1978 geweigert, auf das Volk zu schießen – und dadurch konnte die Revolution siegen.

Chomeini zog daraus eine Lehre und etablierte eine Parallelarmee beziehungsweise sogar zwei. Die Revolutionswächter und die Bassidsch haben den einzigen Daseinszweck, dieses Regime zu schützen – auch und gerade gegen das eigene Volk. Sie profitieren immens von diesem System, wissen selbst am besten, welche Verbrechen sie begangen haben und was ihnen blühen würde, wenn dieses Regime fiele. Deshalb werden sie noch lange kämpfen – auch mit dem Rücken zur Wand. Sie sind es, die die Proteste 2009 niedergeschlagen haben und dies sofort wieder tun würden – mit aller Gewalt und Brutalität –, wenn die Iraner es den Ägyptern nachmachten und auf die Straße gingen.

Außerdem hat das iranische Regime das Internet als Kommunikationsmittel für die Protestierenden nicht nur zeitweise ausgeschaltet wie die Regierung Mubarak in den ersten Tagen der Revolte. In Iran ist das Internet so verlangsamt worden, dass es als Kommunikationsmedium wie in Ägypten nicht zu nutzen ist. Zudem geht die Polizei hart gegen Blogger vor und werden zahlreiche Seiten blockiert.

Kein Einfluss von außen

Es gibt noch einen entscheidenden Unterschied: Auf das iranische Regime kann kein Obama Einfluss nehmen. Er kann die Iraner nicht mahnen, die Menschenrechte zu achten, und er kann nicht drohen, die Militärhilfe zu streichen. Er hat hier keinen Hebel, an dem er ansetzen könnte. Im Gegenteil. Wenn der Westen mahnt, kontert Teheran sofort, man verbitte sich eine Einmischung der arroganten Mächte in die inneren Angelegenheiten Irans. Und westliche Unterstützung für die Protestierenden wird sofort dazu genutzt, diese als fünfte Kolonne des Feindes zu denunzieren.

Aus demselben Grund spricht Mir Hossein Mussawi in Allegorien, wenn er über Ägypten redet und auch Iran meint. Das Regime des Pharaos breche zwangsläufig zusammen, schreibt er, wenn der Pharao ungerecht sei. Ein Regimewechsel sei unvermeidbar, wenn die Regierung die Stimme des Volkes nicht hört. „Für jeden Pharao gibt es einen Moses“, li kulli fir‘aun musa ist eine arabische Formulierung, die auf den Koran zurückgeht, und im iranischen Diskurs sehr gebräuchlich ist. Häufig werden ungerechte Herrscher mit dem Pharao verglichen: Eines der berühmtesten Wandgemälde der Revolution von 1979 zeigt Chomeini als Moses und den Schah als Pharao. Das Bild vom Aufstand Moses gegen den Pharao ist Iranern also sehr geläufig. Für die meisten Iraner hat der Pharao allerdings heute einen Turban.