Zukunft heißt jetzt „Eine Hand“

FRAUEN Geschlechtersensibilität muss Priorität haben. Fatal wäre, die alten Rollen fortzuschreiben

Shereen Abou el-Naga, 44, Englischprofessorin, OppositionelleFoto: privat

VON SHEREEN ABOU EL-NAGA

Die wichtigste Parole in den 18 Tagen Protest lautete „Eine Hand“ – eine wörtliche Übersetzung aus dem Arabischen, die sinngemäß „Wir sind alle vereint“ heißen soll. Von Anfang an war es den Protestierenden klar, dass Dissens und Diskriminierung zwei mächtige destruktive Waffen gewesen sind, um die Gesellschaft zu untergraben. Nun, die Parole funktionierte wunderbar und spontan. Es schlossen sich nicht nur Orthodoxe, Katholiken und Anglikaner an, sondern auch Frauen, junge und alte, verschleierte und unverschleierte, Musliminnen und Christinnen, Arbeiterinnen und Hausfrauen. Sie saßen nebeneinander in einem Geist der Freundschaft, der völligen Akzeptanz, nicht nur der Toleranz, und der geistigen und materiellen Großzügigkeit. Bis zum 11. Februar gewann jeder Protestierende auf dem Tahrir eine große Zahl Freunde.

Man mag sich fragen, was die Frauen die 18 Tage lang eigentlich gemacht haben. Erstaunlicherweise gab es nichts Frauenspezifisches. Ab dem „Freitag des Abgangs“, dem 28. Januar, waren sie draußen, erlitten Tränengas, Schläge und führten zuweilen die Gesänge an – wobei niemand an diesem Tag viel Atem zum Singen übrig hatte. Sie schliefen auf dem Tahrir neben den Männern, nicht alle hatten den Luxus eines kleinen Zeltes, zwei Decken waren genug. Logischerweise hätte es getrennte Räume von Frauen und Männer geben müssen, dies war nicht der Fall. Die Leute schliefen durcheinander und bis zum Ende gab es keine einzige der zuvor gemeldeten sexuellen Belästigungen.

Es muss betont werden, dass die völlige Abwesenheit solcher Vorfälle während der Demonstrationen die Verantwortung der Polizisten für solch schändliches Benehmen in der Vergangenheit belegt. Als die „bezahlten“ Schläger am 2. und 3. Februar die Protestierenden angriffen und einschüchterten, wurden die Frauen so hart geschlagen wie die Männer. Eine, Sally Zahran, wurde totgeschlagen. Auf den Frauen lag eine zusätzliche Bürde, weil sie Frauen waren. Während sie Schläge einsteckten, wurden sie oft von Schlägern noch sexuell belästigt. Es gab zwei Räume: den des Tahrir-Platzes, wo es eine Kultur der Gleichheit gab, und einen draußen, wo sexuelle Ungleichheit herrschte, die das Verhalten der Schläger und Sicherheitskräfte bestimmte.

Von daher war es nicht nötig, die Anwesenheit einer Frauenbewegung auf dem Platz hervorzuheben. Das Bedürfnis dazu verschwand ganz von allein. Als erste Schlussfolgerung lässt sich feststellen, dass ein ehrliches Gefühl der Solidarität und ein einheitliches Ziel der Demokratie unweigerlich jede kulturelle Rollenteilung und Stereotypen abschaffen. Ich wage zu sagen, dass wir uns selbst überraschten.

Der Weg ist noch lang und steinig. Die Parole „Das Regime soll gehen“ hat sich noch nicht vollständig erfüllt. Das Regime setzte eine patriarchalische Kultur durch, die die Frauen einschränkte und ihr Potenzial erstickte. Um sich einen Platz in der Zukunft der Revolution zu sichern, sollten sich alle Beteiligten darauf besinnen, was wirklich geschah.Das wichtigste Feld ist das der Medien, besonders das Fernsehen. Es ist sehr enttäuschend, dass alle Programme die alte Politik weiterführen und wie früher Prominente interviewen – außer dass diese jetzt zur Opposition gehören. In den meisten Komitees, die in den letzten Tagen gebildet wurden, gibt es auffallend wenige Frauen. Die Hauptforderung wurde offenbar nicht wirklich verstanden.

In diesen Zeiten ist das Politische kulturell, und diese ideologische Überzeugung muss obenan stehen, sonst werden die Errungenschaften der Revolution untergraben. Das Politische ist auch persönlich – eine Parole der siebziger Jahre –, und die Familienpolitik sollte im Sinne der Gleichheit reformiert werden. Geschlechtersensibilität ist ein Eckpfeiler der Zukunft.

Es wäre ein fataler Fehler, die alte Politik zu wiederholen, Geschlechterfragen hintanzustellen und zu behaupten, jetzt habe die Sache der Nation Vorrang. „Eine Hand“ ist die Parole, und sie bezieht sich auf alles: Politik, Gesellschaft und Kultur.

Aus dem Englischen: D. Johnson