Geheimnisse im Raumschiff

HAUPTSTADTJOURNALISMUS Wie nah müssen Journalisten an Politiker ran? Und was ist dann mit der Distanz?

VON JULIAN KASTEN

In Berlin treffen sich Journalisten und Politiker gern in Cafés und Wohnzimmern. Wie viel Nähe ist notwendig, um an Informationen zu kommen? Ab wann sind sich die Akteure zu nah? Während Journalisten mangelnde Distanz zur Politik nachgesagt wird und Politiker nur noch weich gespülte Aussagen präsentieren, wird der Eindruck erweckt, dass die Berliner Politikszene fernab in einem Raumschiff schwebt.

Politiker und Journalisten genießen generell keine große Beliebtheit in der Bevölkerung und gelten als wenig glaubwürdig. Oft geisterte das Wort „Politikverdrossenheit“ durch die Runde, die über „Raumschiff Berlin: JournalistInnen als Machtfaktor in der Politik“ diskutierte. Sie wissen, wovon sie sprechen, im Gegensatz zu den Bürgern, die von diesen Hintergrundgesprächen nichts mitbekommen.

Es sei „eine verständliche Strategie“, so der ehemalige Regierungssprecher Thomas Steg, „dass Politiker die Funktion der Hintergrundgespräche nutzen. Auf dieser Hinterbühne können sie unter geringerem Druck eigene Motive und Ideen gründlich erklären.“ Diese Themen werden dann oft codiert vorgestellt. „Unter1“ bedeutet, dass die Informationen mit Quelle weitergegeben werden dürfen. „Unter2“ heißt, dass die Information „aus informierten Kreisen“ kommt, während „Unter3“-Themen nicht veröffentlicht werden. So testen Politiker auch gern die Wirkung von neuen Themen. Die Journalisten werden im Zweifelsfall sogar zu Beratern. Genau hier sind die größten Gefahren zu suchen. Wenn Journalisten in entspannter Atmosphäre Themen und Meinungen anvertraut bekommen, ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Aufgabe der Distanz, die von ihnen gefordert ist. Die Medienvertreter begeben sich in einen Raum, der vor der Öffentlichkeit geschützt ist, obwohl sie Öffentlichkeit schaffen und den Mächtigen auf die Finger schauen sollen. Darüber hinaus kommen Journalisten durch Hintergrundgespräche einfacher an exklusive Informationen. Das klingt so, als würden Journalisten und Politiker dadurch nur ihre Arbeitsbedingungen optimieren.

Für Christoph Schwennicke, stellvertretenden Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros, besteht eine große Schwierigkeit darin, die Distanz immer zu wahren. Er erzählt von einem Angelausflug mit Peter Ramsauer (CSU). Heute würde Schwennicke ablehnen, wenn in der Redaktion ein Porträt über den Bundesminister gefragt wäre, da er nicht garantieren könne, genau so unparteiisch und kritisch zu schreiben wie über andere Politiker.

Sabine Adler, Leiterin des Hauptstadtbüros im Deutschlandradio, ist Mitglied im Wohnzimmerkreis, in dem Journalisten Politiker in ihre Privatwohnungen einladen, und sieht darin mehr Vorteile als Gefahren. Sie sieht sich in der Pflicht, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen, und nutzt dazu die Nähe zu den politischen Akteuren. „Ich sehe mich noch nicht gehirngewaschen. Da findet alles in professioneller Atmosphäre statt“, sagt sie. Wenn Journalisten so am Puls der Zeit sein möchten wie Sabine Adler, sind sie bereits ein Machtfaktor. Sie üben damit Einfluss aus, der ihnen eigentlich nicht zusteht. Es ist schwer vorstellbar, wie dieser Spagat zwischen Distanz und Nähe auf die Dauer gelingen kann. Manche werden Adler glauben, wenn sie betont, dass gerade darin die Herausforderung bestehe. Sie spricht von klarer Aufgabenverteilung und Verantwortung auf beiden Seiten. Das überzeugt nicht alle Zuhörer. Thomas Steg betont: „Journalisten und Politiker dürfen sich nicht gegenseitig instrumentalisieren.“ Die Realität im Berliner Raumschiff dürfte anders aussehen.

■ Julian Kasten, 23, nahm im März 2011 am Workshop der taz Panter Stiftung teil und studiert in Erfurt Kommunikationswissenschaften und Philosophie