Letzte Bilder aus Misurata

MISURATA „Kein Zeichen von Nato“, tweetete der Fotograf Tim Hetherington. Tags darauf waren er und sein Kollege Chris Hondros tot – zwei von tausend Opfern an der brutalsten Front Libyens

VON DOMINIC JOHNSON

Sie starben wie so viele Opfer des Krieges in Misurata: getroffen von Granaten mitten in der Stadt. Der britisch-amerikanische Fotojournalist Tim Hetherington und sein amerikanischer Kollege Chris Hondros, beide 41, wurden am Mittwoch an der Front im Stadtzentrum getötet. Zwei Kollegen, Guy Martin aus Großbritannien und Michael Christopher Brown aus den USA, überlebten verletzt. Die Leichen wurden am Freitag per Schiff nach Bengasi gebracht.

Schätzungen zufolge wurden in Misurata über tausend Menschen getötet, seit am 20. Februar Khalid Abushahma als erster Anti-Gaddafi-Demonstrant in der Stadt erschossen wurde. Die Bevölkerung der drittgrößten libyschen Stadt war damals noch unbewaffnet. Dann wurde sie beschossen, und sie setzte sich mit Steinen und Molotowcocktails auf Polizei und Armee zur Wehr. Dann griff sie selbst zu den Waffen. Dann war sie eingekesselt.

Die Aufständischen kontrollieren jetzt die Küste mit dem Hafen und einen Teil des Zentrums, wo allerdings Gaddafis Scharfschützen zwei Hochhäuser besetzt halten. Sie kontrollieren auch einen Teil der Tripolis-Straße, den wichtigsten Verkehrsweg ins Zentrum. Hier konzentrieren sich daher regelmäßig die Offensiven der Gaddafi-Streitkräfte.

Am Dienstag schrieb Hetherington seinen letzten Tweet: „In der belagerten libyschen Stadt Misurata. Wahlloser Beschuss durch Gaddafis Streitkräfte. Kein Zeichen von Nato.“

Am Mittwoch machten sich Hetherington und Hondros mit weiteren Journalisten im Schutz von Aufständischen in die Tripolisstraße auf. Sie waren schon auf dem Rückweg, als am Nachmittag schwerer Artilleriebeschuss einsetzte. Die Journalisten suchten Zuflucht im Schutz einer Mauer. Eine Granate explodierte genau unter ihnen. Hondros wurde am Kopf getroffen, Hetherington wurde ein Bein zerfetzt. Alle vier wurden ins nahe Hikma-Krankenhaus gefahren. Eine Viertelstunde später war Hetherington verblutet. Hondros starb später. Rund 90 Prozent der Toten von Misurata wurden auf diese Weise zu eher zufälligen Opfer von Scharfschützen oder Granaten; viele starben so in ihren Häusern.

Die Gaddafi-Truppen setzen auch Streubomben ein. Nato-Luftschläge haben rund 40 Panzerfahrzeuge zerstört, aber die Aufständischen wünschen sich vor allem Luftangriffe auf die Hochhäuser mit Heckenschützen. Krankenhäuser und Friedhöfe sind überfüllt. Es gibt tausende Verwundete, darunter zahlreiche Kinder. Lebensmittel und Medikamente sowie Waffen kommen nur per Schiff hinein; die Schiffe evakuieren auf dem Rückweg Verwundete und Flüchtlinge. Nach UN-Angaben wurden am Mittwoch neben den zwei Fotografen 31 weitere Menschen in Misurata getötet, 2.800 Menschen wurden nach Bengasi evakuiert, es kamen 500 Tonnen Hilfsgüter, gespendet von Libyern im Osten, der Regierung Katars und dem Roten Halbmond der Arabischen Emirate.

Hetherington und Hondros hatten sich nicht leichtfertig in Gefahr begeben, betonen ihre Kollegen. Sie waren zwei der erfahrensten Kriegsberichterstatter der Welt, von Liberia bis Afghanistan reichte ihre Karriere.

Kollegen loben jetzt ihre Arbeit und ihren Mut: Sie hätten der Weltöffentlichkeit den Horror von Misurata sichtbar gemacht. Hetherington sei eine „Ikone“ seines Berufsstands gewesen, sagte Jim Gray vom britischen TV-Sender Channel Four und warnte: „Es gibt nicht viele Konfliktgebiete, wo so heftige Kämpfe in einem städtischen Gebiet stattfinden und wo keine dritte Kraft wie die UNO oder ein westliches Land steht. Es ist sehr sehr gefährlich.“