Bin Laden im Paradies

US-OPERATION Laut einem in mehreren US-Medien zitierten Regierungsmitarbeiter soll die Operation vor pakistanischen Stellen komplett geheim gehalten worden sein

Nach islamischer Tradition muss ein Leichnam nach spätestens 24 Stunden bestattet werden. Seebestattungen sind aber traditionell sehr unüblich und nur in besonderen Fällen gestattet

VON SVEN HANSEN

US-Spezialkräfte haben am frühen Sonntagmorgen aus Hubschraubern das Versteck von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in Pakistan angegriffen und ihn mit einem Kopfschuss getötet. Er und seine Wachen sollen nach US-Angaben Widerstand geleistet haben. Wie US-Präsident Barack Obama bei der Verkündung des Tods bin Ladens am Sonntagnachmittag in Washington andeutete, wurde dieser erst „nach dem Schusswechsel“ getötet. Laut dem US-Sender CNN soll es eine gezielte Tötung gewesen sein. Bin Ladens Tod wird auf zwischen 1.30 und 2 Uhr terminiert. Auch drei weitere Männer, darunter ein Sohn, der Kurier und dessen Bruder sowie eine Frau wurden bei dem Sturm auf das befestigte Anwesen in der Stadt Abbottabad getötet. Andere Anwesende, darunter Frauen und Kinder, überlebten unverletzt.

Nach US-Angaben blieben bei der 40-minütigen Aktion alle Angehörigen des Sonderkommandos unverletzt. Doch mussten sie einen Hubschrauber wegen eines Defekts aufgeben, wie US-Medien unter Berufung auf Regierungsangaben berichteten. In unbestätigten Berichten hieß es, der Hubschrauber sei mit Panzerfäusten beschossen worden.

Das Spezialkommando nahm bei seinem Abflug die Leiche bin Ladens laut New York Times zunächst nach Afghanistan im Hubschrauber mit. Später sei sie „im Einklang mit den muslimischen Praktiken und Traditionen“ auf See bestattet worden, wie US-Regierungsmitarbeiter am Montagmorgen bestätigten. Der Ort und die genauen Umstände wurde nicht bekannt gegeben. Nach US-Angaben sei davon ausgegangen worden, dass kein Land zur Bestattung bin Ladens bereit gewesen wäre. Auch habe die US-Regierung laut Washington Post befürchtet, dass sein Grab sich zum Pilgerort für militante Islamisten entwickeln könnte. Nach islamischer Tradition muss ein Leichnam nach spätestens 24 Stunden bestattet werden. Seebestattungen sind aber sehr unüblich und nur in besonderen Fällen gestattet.

Von dem US-Kommando genommene DNA-Proben sind mit dem Erbgut von Verwandten abgeglichen worden und haben laut CNN zweifelsfrei bewiesen, dass der Tote bin Laden ist. Zuvor hatte der pakistanische Militärgeheimdienst ISI den Tod des Al-Qaida-Führers bestätigt. Bei Fotos von dessen Leiche mit blutverschmiertem Gesicht handelte es sich laut Experten jedoch um Fälschungen.

Auf das Versteck des 54-jährigen Al-Qaida-Chefs in der 110.000-Einwohner-Stadt Abbottabad 70 Kilometer nördlich von Pakistans Hauptstadt Islamabad war der US-Geheimdienst durch bin Ladens Kurier gekommen. Gefangene im US-Lager Guantánamo sollen laut New York Times schon vor vier Jahren dessen Pseudonym und persönliche Nähe zu bin Laden verraten haben. Der Kurier soll ein Protegé von Chalid Scheich Mohammed gewesen sein, vom 2003 in Pakistan festgenommenen Chefplaner der Terroranschläge vom 11. September 2001. Im vergangenen August soll es dann gelungen sein, die Identität und den Wohnort des Boten in der luftkurortähnlichen Garnisonsstadt Abbottabad zu lokalisieren. Der Geheimdienst stieß dabei auf ein großes, mit vier bis sechs Meter hohen Mauern sowie zahlreichen Innenmauern und Stacheldraht geschütztes Anwesen. Der auf einen Wert von einer Million Dollar geschätzte und vor rund fünf Jahren fertiggestellte zweistöckige Gebäudekomplex ist wesentlich größer als die Nachbargebäude, soll aber keinen Telefon- oder Internetanschluss haben. Der Kurier soll über kein offizielles Einkommen verfügt haben. Auch sei auffällig gewesen, dass die Bewohner einschließlich einer Familie, die der von bin Laden entspräche, dort ihren Müll immer selbst verbrannte und nie abholen ließ.

Im Februar sollen sich die Hinweise auf bin Ladens dortigen Aufenthaltsort erhärtet haben. Am vergangenen Freitagmorgen gab US-Präsident Barack Obama dann nach seinem bereits fünften Briefing zum vermuteten Aufenthaltsort laut New York Times den Befehl zum Angriff. Laut einem in mehreren US-Medien zitierten Regierungsmitarbeiter sei die Aktion dabei vor pakistanischen Stellen komplett geheim gehalten worden.

Die Zahl der an dem Einsatz beteiligten Hubschrauber ist unklar. Sie wird in verschiedenen Berichten zwischen zwei und vier angegeben. Bei den beteiligten Spezialkräften soll es sich um Navy Seals gehandelt haben, die Eliteeinheit der Marine. In einigen Medien ist von insgesamt 25 Mann die Rede. Bei dem Angriff soll ein Hubschrauber ein Team innerhalb des Gebäudes abgesetzt haben.