Idee von einer konspirativen Welt

RECHTE IDEOLOGIE Der Täter Anders Behring Breivik sieht den Feind in Multikulturalismus, Marxismus und der Sozialdemokratie. Ein Gespräch mit dem norwegischen Historiker Terje Emberland über die Elemente rechtsextremer Ideologie

■ ist Historiker und leitender Wissenschaftler am Zentrum für Holocaust- und Minderheitenforschung in Oslo.

taz: Herr Emberland, ist Anders Behring Breivik ein Einzeltäter?

Terje Emberland: Offensichtlich. Er ist ein einsamer Wolf, der allein agierte. Nichtsdestotrotz hatte er Kontakte zu rechtsextremen Diskussionsforen wie nordisk.nu und document.no und gehörte der rechtspopulistischen Fortschrittspartei an.

Glauben Sie also, dass Breiviks Kontakte zu militanteren Kreisen nur virtuell, also im Internet bestanden?

Die militante Neonaziszene in Norwegen ist seit 2000 eher klein und schlecht organisiert. Einige wenige Gruppen sind aktiv, aber sie besitzen keine charismatische zentrale Führerfigur. Einige winzige Milieus haben Kontakte zu deutschen Kameradschaften und schwedischen Neonazis. Aber allgemein gesprochen, werden die norwegischen Nazis von ihren deutschen und schwedischen „Kameraden“ nicht sehr ernst genommen. Die populistische Rechte und die antiislamistische Szene sind aktiver und stärker. Dieser Szene gehörte Breivik hauptsächlich an. Vor ein paar Jahren versuchte er in Norwegen sogar ein Pendant zu der englischen Defence League zu organisieren; die 2009 gegründete Organisation will die „Islamisierung“ Englands verhindern.

Eine kleine Neonaziszene, aber doch militant?

In Skandinavien sind Neonaziverbrechen vor allem aus Schweden und dem Umfeld der Anti-Antifa bekannt: Mord an einem Gewerkschafter und einem Antifaschisten, ein versuchter Anschlag auf ein antifaschistisches Zentrum. Aber keines hatte die Größe oder den Charakter dieses Anschlags.

Breivik selbst stellt sich als „christlich konservativ“ dar.

Er betont, dass er kein Nazi ist, sondern ein konservativer Nationalist. Aus den Beiträgen im Internet wird deutlich, dass er eine tiefe Abneigung gegen den Islam und den Multikulturalismus empfindet.

Und die Sozialdemokratie macht er für die multikulturelle Gesellschaft verantwortlich.

Er ist besessen von der Idee einer konspirativen Welt, in der die Marxisten versuchen, die westliche Kultur mittels Multikulturalismus zu zerstören. Solche Verschwörungstheorien über Marxisten, Sozialdemokraten und Juden haben im Rechtsextremismus eine sehr lange Tradition. Diese Weltanschauung, so der jetzige Erkenntnisstand, war das treibende Motiv hinter seinen terroristischen Angriffen.

Es heißt, Breivik kam aus dem „Nichts“. Müsste es nicht heißen, er kam aus einem vorherrschenden Diskurs in der Mitte der Gesellschaft?

Eine zunehmende antiislamistische Stimmung ist in Norwegen zu beobachten. Bisher hat sie sich aber hauptsächlich auf die Fortschrittspartei fokussiert.

INTERVIEW ANDREAS SPEIT