Es liegt etwas in der Luft

DOWNTOWN Die fröhliche Revolutionsstimmung ist verflogen. Aber wem nutzt die Gewalt?

Viele vermuten, dass religiöse Ausschreitungen von den Generälen nicht ungewollt sind

VON NORA MBAGATHI

An manche Sätze gewöhnt man sich nicht. Einer davon lautet: „Schließ die Autofenster und Türen und fahr einfach weiter, selbst wenn du jemanden überfährst.“ Gerade stellen wir für das Uni-Theater die rumänische Revolution nach, als mich die ägyptische wieder einmal einholt. Die guten Ratschläge kommen per SMS von meiner Nachbarin Lamma, kurz bevor ich am Sonntagabend aus einem Tunnel in Richtung Downtown fahre. Von dem Tunnel zu meiner Wohnung sind es mit dem Auto etwa fünf Minuten. Ein weiter Weg an einem solchen Abend. Weitere zehn Minuten zu Fuß und ich stünde auf dem Tahrirplatz.

Die Stimmung in Downtown ist wie bei einer Sturmwarnung: angespannt, bisweilen aggressiv. Die Menschen gehen schnellen Schrittes, hier und da stehen Männer in kleinen Gruppen und diskutieren heftig. Ich bleibe nicht, um zu sehen, ob diese Diskussionen in Gewalt enden. Zu Hause öffnet Lamma die Tür: „Ist Nora endlich zu Hause?“, ruft ihre Mutter. Kurz darauf hören wir von der Straße Schüsse. Oder wird Tränengas abgefeuert? Auch Lamma hatte es nicht leicht, nach Hause zu kommen. Um sie herum kam es zu Prügeleien, und eine Gruppe junger Schläger versuchte, sie in ein Auto zu zerren. Ich frage sie nicht, wozu. Lamma flüchtete sich in einen Hausflur und wurde von zwei hilfsbereiten Männern nach Hause gebracht.

Wir sind noch verwirrt und wissen nicht genau, was eigentlich passiert ist. Es sei zu Ausschreitungen zwischen demonstrierenden christlichen Kopten und dem Militär gekommen, und Lamma erzählt, ägyptische Fernsehsender hätten „gute Bürger“ dazu aufgerufen, dem Militär beizustehen und es zu beschützen. Lamma runzelt die Stirn: „Nehmen wir an, sie seien tatsächlich von Kopten attackiert worden – was ist, wenn ein Land uns angreift? Braucht die Armee dann auch unsere Hilfe?“ Von Zeit zu Zeit sind von der Straße her islamistische Slogans zu vernehmen. Wird es dem Militär gelingen, dieses Feuer zu schüren?

Die Vermutungen, dass religiöse Ausschreitungen von den Generälen nicht ganz ungewollt sind, beschleicht viele meiner Freunde schon seit einiger Zeit. „Tja, sie haben uns glauben lassen, wir hätten eine Revolution gehabt, und uns das machen lassen, wofür sie uns brauchten. Jetzt zeigt die Armee ihr wahres Gesicht. Umso besser, wenn sich dabei alle Bürger untereinander die Köpfe einschlagen“, sagt Iman düster am Telefon. Doch viele erkennen die möglichen Manipulierungsversuche des Generals Hussein Tantawi, der Ägypten derzeit regiert.

„Wacht auf, Ägypter, und kommt aus euren Häusern, Tantawi ist Mubarak“, ruft es von der Straße. Die Universität schickt eine Rundmail, dass alle Busse vom Tahrirplatz zum Campus bis auf weiteres von einer anderen Haltestelle abfahren. Ich schlage meine Vorlesungsnotizen für ein morgiges Examen auf. „Alltag“ ist ein seltsames Wort in diesen Tagen. Es liegt etwas in der Luft.

■ Nora Mbagathi, 23, stammt aus Berlin und studiert an der Amerikanischen Universität Kairo Nahostwissenschaft. Während der Revolution schrieb sie für die taz ihre tägliche Kolumne „Downtown Kairo“