Einer von 156

OPFER Immer wieder gibt es Streit über die Zahl von Opfern rechter Gewalt. Mehr als 150 zählen Initiativen seit 1990. Die Regierung erkennt nur ein Drittel an

In der Tat sind manche Fälle strittig. Aber dass die offiziellen Zahlen des Bundesinnenministeriums nicht stimmen können, liegt auf der Hand

VON WOLF SCHMIDT

Es ist eine bedrückende Wanderausstellung, die die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Opferperspektive Brandenburg an diesem Donnerstag in überarbeiteter Form in Berlin eröffnen werden: 156 Menschen, die in Deutschland seit 1990 Opfer rechter Gewalt wurden, stellen die beiden Einrichtungen mit kurzen Biografien und Fotos vor. „Einige Schicksale bewegten die Öffentlichkeit, manche wurden nur am Rande zur Kenntnis genommen, vergessen sind die meisten“, heißt es in der Ankündigung der Ausstellung.

Vergessen worden sein dürfte von den meisten tatsächlich der erste Name auf der Liste: Mahmud Azhar, der am 7. Januar 1990 auf dem Heimweg in Berlin von einem Mann rassistisch beschimpft und bedroht wurde. Als er sich in ein Universitätsgebäude flüchtete, schlug ihm der Angreifer einen Feuerlöscher auf den Kopf. Zwei Monate später starb er an seinen Verletzungen.

In Erinnerung behalten haben dürften viele hingegen den vorletzten Namen auf der Liste: Marwa El Sherbini. Die Ägypterin war im Juli 2009 im Dresdner Landgericht von einem Muslimhasser mit einem Messer erstochen worden – die Tat gilt als erster islamfeindlicher Mord in Deutschland.

Es wird vermutlich zur Wiedereröffnung der Wanderausstellung wieder eine Debatte über die Zahl der Todesopfer geben. Denn: Anders als die Ausstellungsmacher erkennt die Bundesregierung bisher nur 47 von ihnen als Opfer rechter Gewalt an. In der Tat sind manche Fälle strittig. Aber dass die offiziellen Zahlen des Bundesinnenministeriums nicht stimmen können, liegt auf der Hand.

Journalisten von der Zeit und vom Tagesspiegel kamen in aufwändigen Recherchen vergangenen Herbst auf die Zahl von 137 Todesopfern durch rechte Gewalt seit 1990.

Unterschiedliche Einschätzungen

Deshalb ist es kaum überraschend, dass es auch beim neuesten Namen in der Liste der Ebert-Stiftung und der Opferperspektive Brandenburg einen Dissenz in der Einschätzung gibt. Die beiden Einrichtungen sehen in dem im Oktober 2010 mutmaßlich von einem Neonazi erstochenen 19-jährigen Iraker Kamal Kilade ein Opfer rechter Gewalt. Die Staatsanwaltschaft hingegen sieht keine hinreichenden Belege für ein ausländerfeindliches Motiv der Tat, am Freitag beginnt in Leipzig der Prozess.

In der an diesem Donnerstag in Berlin neu eröffneten Wanderausstellung wird Kilade dennoch schon zu sehen sein. Als letzter von 156 Namen auf der Liste – bis zur nächsten Überarbeitung.