Pflege von Demenzkranken: Wenn sich nur der Gärtner kümmert

Demenzkranke sind akut von der Abschiebung in stationäre Heime bedroht. Das Verschwinden von Frau P. zeigt, wie frustrierend die Situation vieler Alter ist.

Altersverwirrte Menschen brauchen helfende Hände. Anspruch darauf haben sie nicht. Bild: dapd

In einer kleinen Straße im Berliner Norden lebt Frau P. in einem großen Haus. Ihr Mann hat es einst für sie und sich gebaut, und für die Kinder, die die P.s dann nie hatten. Vor 25 Jahren ist er gestorben, seither ist Frau P., inzwischen 87 Jahre alt, allein.

Und jetzt? Eine Nichte, 700 Kilometer entfernt. Ein Verwandter in Übersee. Und Frau P.: heiser, weil ihre Gelegenheiten für Gespräche selten geworden sind. Ängstlich, weil ihr die Beine nicht mehr gehorchen wollen. Und stark verunsichert, weil sie oft nicht weiß, ob sie aus der Haustür kommend rechts oder links abbiegen muss, um zu ihrem Hausarzt zu kommen.

Es gibt Grund, sich Sorgen zu machen um Frau P.

Neulich, nachts: Zwei Feuerwehren, ein Polizeiauto. Der Verwandte aus Übersee hatte Alarm geschlagen, er könne Frau P. nicht erreichen. Eine Recherche in den umliegenden Kliniken ergibt: Schon Mitte August ist P. nach Behandlung eines Oberschenkelhalsbruchs entlassen worden. Wohin? Für die Folgebehandlung in Pflegeeinrichtungen sei es nicht zuständig, bescheidet das Krankenhaus, man möge verstehen: Krankenhausaufenthalte zahle die Krankenkasse, anschließende Pflege die Pflegekasse. Kommunikation zwischen beiden: nicht existent.

Uniformierte brechen die Tür auf

20 Uniformierte umstellen daraufhin P.s Haus. Brechen die Tür auf. Und finden drinnen: keine Frau P. Dafür einen Zettel mit der Handynummer von Ralf K., 59, ihrem Gärtner. Dem Einzigen, der sich kümmert. Jetzt soll er, es ist nachts um zwei, sagen: was er mit der Frau gemacht hat! Sie untergebracht, vorübergehend und in einer Rehaklinik, dummerweise ohne Vollmacht. Aber was, fragt er, hätte er denn tun sollen? Ansonsten wäre Frau P. in einem Pflegeheim gelandet - gegen ihren Willen.

Ralf K. hat das gemeistert, womit ein Heer Ehrenamtlicher im Einsatz für die bundesweit etwa 1,5 Millionen daheim Gepflegten gemeinhin alleingelassen wird: Er hat sich durchgekämpft durch einen Dschungel aus Paragrafen, die regeln, welcher Sozialversicherungsträger, welcher Pflegedienst, welcher Arzt und vor allem: welche Kostenstelle ihm helfen könnten. Damit er wiederum sein Versprechen einlösen kann: dass Frau P. in ihrer gewohnten Umgebung alt werden darf. "Für die ambulante Betreuung einer Dementen aber gibt es praktisch kein Geld", klagt K., "wenn das so weitergeht, muss Frau P. doch ins Heim."

Das ist das Dilemma, vor dem die schwarz-gelbe Koalition steht, wenn sie in dieser Woche über die Reform der Pflegeversicherung berät: Mehr als zwei Drittel der Deutschen wünschen sich laut Umfragen, in den eigenen vier Wänden zu altern. Und sie haben laut UN-Behindertenkonvention einen Anspruch darauf, erinnert der Geriater Christoph Fuchs vom Städtischen Klinikum München: "Demenz ist eine Daseinsform. Wir brauchen nicht weitere Medikation, sondern mehr menschliche Präsenz."

Pflegereform seit einem Jahr angekündigt

Allein: Die Politik ist dieser Frage bislang ausgewichen. Und das, obwohl der Handlungsbedarf messbar ist: Die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit 2,4 Millionen wird sich in einer demografiebedingt und dank des medizinischen Fortschritts stetig alternden Gesellschaft bis zum Jahr 2050 ungefähr verdoppeln; die Wahrscheinlichkeit, dass jeder Dritte dieser Menschen dement wird, ist hoch.

Bei der seit einem Jahr angekündigten Pflegereform, deren Eckpunkte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am 23. September vorlegen will, muss es folglich um mehr gehen als nur um zusätzliches Geld. "Es geht um einen Paradigmenwechsel", sagt der Sozialexperte Jürgen Gohde (parteilos), der bereits unter der großen Koalition ab 2007 den Pflegebeirat leitete und neuerdings auch den Bundesgesundheitsminister berät.

Es fehle nicht nur an Unterstützung für Angehörige, an altersgerechten Wohnungen - bundesweit 2,5 Millionen - und Nachbarschaften, in denen auch Demente möglichst lange selbstständig leben könnten, weil es dort Lebensmittelläden, Ärzte oder Friseure in für sie erreichbarer Nähe gibt. Es fehle vor allem die gesetzliche Anerkennung dessen, dass auch geistige Gebrechen einen Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung begründen.

Versicherung greift nicht bei Demenz

Die derzeitige Pflegeversicherung, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch finanziert (Beitragssatz: 1,95 Prozent vom Bruttolohn, Kinderlose: 2,2 Prozent), ist nur eine Teilkaskoversicherung. Sie greift zudem derzeit nur bei körperlichen Gebrechen, nicht aber bei psychisch-kognitiven Beeinträchtigungen, also bei Demenz. Ihre Reserven reichen noch zwei bis drei Jahre; anschließend muss der Beitragssatz erhöht werden, auch ohne Erweiterung des Leistungskatalogs.

Nach Berechnungen des Gesundheitsministeriums dürfte der Beitragssatz bei unveränderter Leistung bis 2050 auf 2,7 Prozent klettern; der ehemalige Wirtschaftsweise Bert Rürup geht von "etwas mehr als 3 Prozent" aus. Das ist, gemessen an der jährlichen Kostenexplosion bei der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht viel Geld. Würde allerdings die Demenz mitberücksichtigt, könnte das jährlich bis zu 4 Milliarden Euro mehr kosten, in Beitragssätze umgerechnet: 0,3 bis 0,4 zusätzliche Prozent.

Das Tempo, in dem die Koalition um Inhalte wie Finanzierungsmodelle (siehe Text unten) ringt, lässt nicht unbedingt darauf schließen, dass Frau P. in einer kleinen Straße im Berliner Norden in Würde ihr Leben wird beschließen können.

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