Der Koalitionsknacks

KÜR Am späten Sonntagabend präsentierten Koalition und Opposition Joachim Gauck als neuen Bundespräsidentenkandidaten. Die Harmonie täuschte, zuvor gab es Krach

Am 30. Juni 2010 scheiterte Kandidat Joachim Gauck gegen Christian Wulff bei der Wahl zum Bundespräsidenten. Urteile über Gauck in den Wochen vor der Wahl:

■ Angela Merkel (CDU): „Er ist eine herausragende Persönlichkeit, die ich ehre und schätze. Aber Wulff wird ein guter Präsident sein, der unser Land in herausragender Weise repräsentieren wird.“ (26. 6. 2010)

■ Sigmar Gabriel (SPD): „Gauck ist kein Oberlehrer, sondern jemand, der etwas mitzuteilen hat aus seinem Leben.“ (4. 6. 2010)

■ Oskar Lafontaine (Linke): „Ein solcher Mann ist für Hartz-IV-Empfänger oder Menschen mit niedrigen Renten und Löhnen als Bundespräsident unzumutbar.“ (10. 6. 2010)

■ Joachim Gauck (parteilos): „Die Wahl des Bundespräsidenten Joachim Gauck wäre keineswegs automatisch das Ende der Ära Merkel.“ (12. 6. 2010)

VON ANJA MAIER
UND ULRICH SCHULTE

BERLIN taz | Am Tag nach der Präsidentenkür herrschte Katerstimmung in der schwarz-gelben Koalition: Einerseits betonten alle, wie großartig der designierte Bundespräsident Joachim Gauck das höchste Amt im Land - er soll offiziell am 18. März von der Bundesversammlung gewählt werden - künftig ausfüllen werde. Gleichzeitig aber konnte man kaum die Gereiztheit verhehlen, die nach dem Eklat zwischen Union und FDP am Sonntag herrscht.

So gab CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Montag die Sprachregelung vor. „Wir haben als Koalition gemeinsam einen Auftrag, den erfüllen wir verlässlich“, sagte Gröhe dem „ZDF-Morgenmagazin“. Von einer Krise, so die Botschaft, könne keine Rede sein. Regierungssprecher Steffen Seibert legte im Auftrag der Kanzlerin nach: Um die Koalition und die Bundesregierung brauche man sich „gar keine Sorgen zu machen“, sagte Seibert. Krise? Welche Krise?

Um diese Sätze würdigen zu können, muss man kurz die Vorgeschichte der überraschenden Einigung auf Joachim Gauck erzählen: Die FDP hatte sich am Sonntagnachmittag, genervt von mehreren fruchtlosen Gesprächen mit den Unions-Spitzen, auf Gauck festgelegt und andere Kandidaten wie den Christdemokraten Klaus Töpfer strikt abgelehnt.

FDP-Chef Philipp Rösler versicherte sich per Telefonschaltung dafür extra der Unterstützung seines Präsidiums. Der Tenor war einstimmig: Nein zu Töpfer, Ja zu Gauck – Merkel kriegt uns nicht umgepustet. Und Rösler ließ die Info offensiv an die Presse durchstechen.

Kanzlerin und Unions-Spitze allerdings ließen erkennen, dass Gauck nicht ihr Kandidat sei. Sie präferierten Töpfer.

Am frühen Sonntagabend war klar, dass Union und FDP vor einer offenen Eskalation standen. Ein anwesender Freidemokrat schildert die Stimmung so: „Es stand Spitz auf Knopf.“ Erst nachdem die Kanzlerin noch einmal den Raum verlassen hatte, um mit der Opposition zu telefonieren, war klar: Der von ihr noch vor zwei Jahren verschmähte Joachim Gauck kann der neue Bundespräsident werden. Die Kanzlerin, ist zu hören, sei „erbost“ gewesen. Und tatsächlich, auch unter den Liberalen ist die Rede von einem „Knacks in der Koalition“.

In der Opposition nahm man diesen Zeitpunkt ebenfalls als Moment der Wahrheit wahr: „Merkel drohte die eigene Mehrheit in der Bundesversammlung auseinanderzufliegen“, hieß es bei SPD und Grünen. Sie bekamen einen Anruf Merkels – mit der Bitte, das für den Abend geplante Treffen zwischen Koalition und Opposition um eine halbe Stunde zu verschieben.

Bei diesem Treffen ging es dann nach taz-Informationen bei Buletten und Kartoffelsalat sehr schnell: Angela Merkel – die vor den Mehrheiten kapituliert hatte – schlug Joachim Gauck für die CDU vor.

Erst schlossen sich ihr die Koalitionspartner an, dann die Spitzen von SPD und Grünen. Schließlich stand der Anruf Merkels bei Gauck an: Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin reichte sein Handy hinüber, die Kanzlerin glich die Nummern ab. Und erreichte, noch so eine Skurrilität, erst einmal nur Gaucks Mailbox.

Angela Merkel wirkte fast genervt. Der Tag hatte Spuren hinterlassen

Bei der anschließenden Pressekonferenz mit dem sichtlich überwältigten Kandidaten bezeichnete Merkel Joachim Gauck als „wahren Demokratielehrer“. Zugleich lobte sie sein Leitmotiv der „Freiheit in Verantwortung“. Sie sprach hektischer als üblich, wirkte fast genervt. Der Tag hatte Spuren hinterlassen. Ihren Widersacher Philipp Rösler würdigte sie keines Blickes. Ganz rechts hatten sie ihn platziert – der Vizekanzler und FDP-Vorsitzende hatte Mühe, gesehen zu werden.

Dass zwischen ihm und der Kanzlerin CSU-Chef Horst Seehofer als Interimsbundespräsident saß, mochte man noch dem Protokoll zuschreiben. Aber dass Philipp Rösler erst nach SPD-Chef Sigmar Gabriel seiner Freude über die Personalie Gauck Ausdruck verleihen durfte, das war ein unübersehbares Zeichen der Missbilligung.

Dennoch, dieser Termin war alles andere als eine Niederlage für ihn.

Gekämpft und gewonnen – so kann man skizzieren, was die eines Sieges so bedürftige FDP im Kampf um den neuen Bundespräsidenten geboten hatte. Schließlich hatten die arg geschwächten Liberalen der Kanzlerin widersprochen. Ein Wagnis. Und doch haben sie es getan. Denn die Liberalen konnten sicher sein: Merkel würde die Koalition nicht platzen lassen. Nicht jetzt.