Islamismus in Deutschland: Die Dschihad-Jugend

Die Radikalisierung von Mohamed Merah ist typisch für Dschihadisten. Auch in Deutschland gibt es junge Männer, die von Salafisten als Terroristen angeworben werden.

Beim Barte des Propheten: Nicht jedes Gesichtshaar zeugt vom Islamismus. Bild: dapd

BERLIN taz | Die Radikalisierung des französischen Attentäters Mohamed Merah, 23, ist kein untypischer Fall für heutige Dschihadisten in Europa. „Extreme Brüche in der Biographie, schlechte Zukunftsaussichten, Kleinkriminalität, oft auch Drogenerfahrungen: Wenn es überhaupt ein Profil gibt, dann dieses“, sagt der Berliner Terrorismusforscher Guido Steinberg.

Merah stand immer wieder wegen Diebstahls vor Gericht und landete nach einem Raubüberfall zwischen 2007 und 2009 im Gefängnis, wo er an den radikalen Salafismus geraten sein soll. Auch in anderen europäischen Ländern kann man beobachten, dass Gefängnisse den Einstieg in die militante Islamistenszene bilden können, wie ein Bericht des Londoner Radikalisierungsforschers Peter Neumann zeigt, der nächste Woche auf Einladung des Innenministers nach Berlin kommt.

Merah soll sich nach der Haft mehrmals nach Afghanistan und Pakistan aufgemacht haben, wenn auch weiter unklar bleibt, ob er dort wirklich in einem Terrorlager war, und falls ja, bei welcher Gruppe. Er selbst hatte sich als Al-Qaida-Kämpfer gesehen, doch das kann auch Angeberei gewesen sein. Fest steht nur: Er war Teil der globalen Dschihad-Bewegung.

Es gibt auch in Deutschland Fälle von solchen jungen Männern. Zum Beispiel Emrah E. aus Wuppertal. Der war mit Anfang 20 im Jahr 2010 zu den Dschihad-Kämpfern ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet gereist, sein Bruder starb dort bei einem Drohnenangriff der USA. Emrah E. hatte ähnlich wie Mohamed Merah eine völlig verkorkste Jugend, nahm Drogen, stahl und landete wegen räuberischer Erpressung im Gefängnis. Dann hat er ein Erweckungserlebnis, schließt sich den Salafisten an – und zieht schließlich in den Dschihad in Pakistan.

Religionsverblendung statt Drogensumpf

Ein Frankfurter Ex-Al-Qaida-Mann berichtete in Vernehmungen von seiner Jugend: „Ich bin stoned eingeschlafen, ich bin aufgewacht, habe wieder geraucht, und das war immer so, 24 Stunden.“ Nach einem radikalen Bruch zog er nach Hamburg, wo er ausgerechnet in der Moschee am Steindamm 103 beten ging – dort hatten auch die 9/11-Attentäter verkehrt. Mit zehn weiteren jungen Männern und Frauen, die sich im privaten Kreis weiter aufstachelten, reiste der damals 23-Jährige 2009 in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet. Inzwischen sitzt er in Deutschland im Gefängnis, einem seiner Mitstreiter wird gerade in Koblenz der Prozess gemacht.

Anders als nach den Attentaten in Frankreich nun manche Medien behaupten, ist der Dschihadismus längst kein Problem mehr, das von Außen kommt. Vor zehn Jahren mag das Phänomen noch fast ausschließlich arabisch gewesen sein. Heute ist die Dschihad-Bewegung längst multiethnisch, schichtübergreifend, global. Berlin, Bonn, Ulm, Neunkirchen, Essen, Langen: In all diesen Städten haben sich in den vergangenen Jahren Islamisten entschlossen, in den Krieg gegen die „Ungläubigen“ zu ziehen.

Die jungen Männer in diesen Gruppen heißen nicht mehr nur Ahmad oder Bekkay, sondern Thomas, Eric oder Daniel. Sie sind keine Import-Terroristen, sondern in Deutschland aufgewachsene Instant-Dschihadisten, die sich oft in nur wenigen Monaten radikalisiert haben. Manche von ihnen sind erschreckend jung und kennen zum Teil noch nicht mal den Namen der Terrorgruppe, der sie sich anschließen. Hauptsache Dschihad.

Der französische Attentäter Merah wurde zunächst als „Einzeltäter“ beschrieben. Gleichzeitig haben sich inzwischen die Al-Qaida-nahen Dschund al-Khilafah (“Soldaten des Kalifats“) zu dem Anschlag bekannt. Doch selbst unter Experten ist die bisher nur in Afghanistan und Kasachstan agierende Splitterterrorgruppe kaum bekannt. Man müsse sich deshalb mit einer Bewertung nach wie vor zurückhalten, mahnt Terrorforscher Guido Steinberg.

Radikalisierung funktioniert auch allein, über das Internet

Ein Beispiel für einen echten Einzeltäter gab es im vergangenen Jahr – in Deutschland. Am 2. März 2011 erschoss der 21 Jahre alte Frankfurter Arid Uka zwei US-Soldaten am Flughafen. Radikalisiert hatte er sich fast ausschließlich über das Internet, wo in den vergangenen Jahren eine ganze Bibliothek dschihadistischer Propaganda entstanden ist. Längst kann man über Blogs, Foren und soziale Netzwerke Texte, Theorietraktate, Predigten und Videos des militanten Islamismus herunterladen. Auf Englisch, Türkisch, Spanisch – oder eben Deutsch.

Seine Tat begründete Arid Uka nicht ganz unähnlich wie nun Merah in Frankreich: Als Vergeltung für die angeblichen Gräueltaten gegen die Muslime. „Ich bin im Dschihad“, hieß es in einem Lied, das der gebürtige Kosovare auf dem Weg zum Attentat hörte.

Es ist paradox: Einerseits ist Al-Qaida durch den Tod von Osama bin Laden und weiterer führender Kader massiv geschwächt. Doch die dahinterstehende Ideologie lebt weiter. Der Dschihadismus ist diffus geworden. Jeder kann heute ein Teil dieser Bewegung sein. Überall.

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