Rot-grüner Durchmarsch an Rhein und Ruhr

NRW SPD und Grüne erzielen bei größter Landtagswahl des Jahres überraschend klaren Sieg. Linke fliegt aus dem Landtag. Die FDP ist drin, ebenso stark wie die Piraten. CDU-Landeschef Norbert Röttgen übernimmt die Verantwortung und legt Landesvorsitz nieder

■ Die Rücktrittserklärung von Norbert Röttgen im Wortlaut: „ Es ist eine eindeutige, klare Niederlage, die wir heute erlebt haben. Sie ist nirgendwo zu beschönigen. (…) Die Niederlage ist bitter, sie ist klar, und sie tut richtig weh. (…) Ich möchte betonen, dass die Niederlage der CDU nach meinem Verständnis zuallererst auch meine Niederlage ist. Ich habe verloren. Es war mein Wahlkampf. Es waren meine Themen. Ich habe für meine Überzeugungen gestanden. Ich bin unterstützt worden von meiner Partei. Aber es waren meine Überzeugungen, für die ich eingetreten bin, für die ich gekämpft habe, für die wir gekämpft haben. Aber ich habe die CDU angeführt. Ich war der Spitzenkandidat. Der Wahlkampf war auf mich ausgerichtet: in den Themen, im Inhalt, im Stil. Dieses Ergebnis führt ganz zwingend dazu, dass ich die Führung des Landesverbandes abgeben werde.“ (rtr)

VON ULRIKE WINKELMANN

BERLIN taz | Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat SPD und Grünen zusammen über 50 Prozent der Wählerstimmen und damit eine klare Mehrheit im Landtag eingebracht. Die Regierung in Düsseldorf unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) kann ihre Arbeit fortsetzen – und ist nun auch nicht mehr auf die Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen.

Nach den ersten Hochrechnungen konnte die SPD mit über 38 Prozent der Wählerstimmen ihr Ergebnis von 2010 um rund 4 Prozentpunkte verbessern. Die Grünen hinter Bildungsministerin Sylvia Löhrmann bekamen knapp 12 Prozent und verloren offenbar ein klein bisschen gegenüber dem 2010er Ergebnis. Eine schwere Niederlage erlitt die CDU, die mit Spitzenkandidat Norbert Röttgen gegenüber dem 2010er Ergebnis fast 9 Prozentpunkte verlor und nur noch auf 26 Prozent kam.

Sofort nach Bekanntgabe der Zahlen erklärte Röttgen, „dies ist zuallererst meine persönliche Niederlage“, und verkündete den Rücktritt vom Landesvorsitz der CDU. „Das übertrifft unsere schlimmsten Befürchtungen“, kommentierte CDU-Generalsekretär Peter Altmaier. Röttgen hatte den Unmut der Bundespartei erregt, als er die NRW-Wahl auch zur Abstimmung über den Euro-Rettungskurs der Kanzlerin Angela Merkel erklärte. Grünen-Bundesgeschäftsführerein Steffi Lemke forderte am Sonntagabend, dass die Kanzlerin Röttgen als Bundesumweltminister feuern solle.

Die Linkspartei kann mit unter 3 Prozent gar nicht mehr in den Landtag einziehen. Vizeparteichefin Sahra Wagenknecht führte dies auf das „zerstrittene Bild auf Bundesebene“ der Linkspartei zurück. Neu dabei sind dagegen die Piraten mit über 8 Prozent, sie sitzen nun im vierten Landtag.

Die FDP, die bundesweit seit Monaten nur knapp über der Wahrnehmungsschwelle dümpelt, konnte mit über 8 Prozent ihr Ergebnis von 2010 sogar verbessern – offenbar hat sie einen großen Teil der enttäuschten CDU-Wähler eingesammelt.

Die Neuwahl in NRW nach kaum 20 Monaten rot-grüner Minderheitsregierung wurde angesetzt, nachdem Mitte März die Abstimmung über den Haushalt 2012 im Landtag scheiterte. Es war Kraft nicht gelungen, Linke oder FDP zur Zustimmung über einen zunächst unwichtig scheinenden Unterpunkt des Gesamtetats zu bewegen.

Nun ist die Ministerpräsidentin die Hauptprofiteurin der wie ein Unfall daherkommenden Neuwahl. Die Wahl im größten Bundesland gilt bei 13,2 Millionen wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern als „kleine Bundestagswahl“, doch haben offenbar kaum 60 Prozent von ihnen die Gelegenheit zur Stimmabgabe auch genutzt.

Der Versuch, Kraft zur „Schuldenkönigin“ zu stempeln, hat nichts gefruchtet

Wichtigstes Thema des Wahlkampfes war der fortgesetzte Streit über den Landeshaushalt. Doch scheint der Versuch von CDU und FDP, Kraft zur „Schuldenkönigin“ zu stempeln und ihr Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen, bei der Mehrheit der WählerInnen nichts gefruchtet zu haben. Kraft hat sich ihrerseits auch von der Linie der SPD-Spitze abgesetzt und die Aufnahme neuer Schulden zugunsten sinnvoller sozialer Investitionen verteidigt. „Jetzt bin ich erst einmal total kaputt“, sagte Kraft in ihrer ersten Ansprache nach 18 Uhr.

Die Grünen haben sich in NRW fest an die SPD gebunden. Bei offiziell behauptetem „keine Ausschließeritis“-Kurs ließen sie doch zu keinem Zeitpunkt Zweifel an ihrer rot-grünen Gesinnung aufkommen. Dabei trat mit Röttgen ein CDU-Kandidat an, der mehr als alle anderen als geeignet und offen für schwarz-grüne Bündnisse gilt. Dass die Grünen im Gegensatz zur SPD von der Neuwahl nicht profitieren konnten, erläuterte Löhrmann abends mit der „schwierigen Situation“ für die Grünen angesichts des Schuldenthemas.

Eines der großen Projekte für die nun anstehende Legislaturperiode in NRW dürfte die Energiewende werden. Achillesferse für Rot-Grün wird in NRW der Kita-Ausbau bleiben, der hier noch stärker hakt als anderswo. In der Frage der Schulreform hatte das Bündnis bereits im Juli 2011 dagegen mit der CDU einen „Schulfrieden“ geschlossen, der darauf hinauslief, nach den Vorstellungen der CDU eine weitere Schulform zu schaffen und das Gymnasium unangetastet zu lassen.