Kinderarmut in Polen: Der Traum vom Urlaub

Mit Platz 24 ist Polen eines der Schlusslichter im Armutsbericht. Jedes fünfte Kind lebt unter der Armutsgrenze der OECD. Ein Beispiel aus Warschau.

Kinder spielen in der Nähe von Warschau am Außengeländer eines Gebäudes. Bild: reuters

WARSCHAU taz | Julia ist ein fröhliches Kind. Die 11-jährige Warschauerin lacht viel. „Am allerliebsten würde ich Balletttänzerin werden“, sprudelt es aus ihr heraus. Sie bindet ihre langen braunen Haare nach oben, drückt eine Taste des Radio-CD-Players und tanzt ein paar Schritte durch die Wohnung. Sie schließt die Augen, genießt den kurzen Traum einer Primaballerina und bricht ab. „Aber wir haben kein Geld. Nicht mal für eine normale Tanzschule reicht es.“ Sie löst die Haare wieder. Enttäuscht. Dann setzt sie nachdenklich hinzu: „Tierärztin finde ich eigentlich auch gut als Beruf. Aber als letztens mein Meerschweinchen starb, habe ich tagelang geweint.“

Jedes fünfte Kind in Polen lebt unter der Armutsgrenze der OECD, insgesamt fast zwei Millionen Kinder bis zum Alter von 18 Jahren. Polens Regierung versucht zwar, durch spezielle Bildungs- und Sportprogramme die schlimmsten Auswirkungen der Armut zu lindern. Doch wegen der allgemeinen Ebbe in den staatlichen wie kommunalen Kassen nehmen Staatsbeamte immer wieder Streichungen vor.

„Wir sind noch nie zusammen in Urlaub gefahren“, bedauert Julia und holt ein paar Bilder, die sie mit Wasserfarben gemalt hat. „Hier, das ist das Meer und der Strand.“ Ihre Freundin Ania war letzten Sommer mit ihren Eltern und Geschwistern in Spanien. Julia zeigt ein anderes Bild: „Das hier sind die Berge, die Hohe Tatra. Da kann man an einem Tag von Polen über die Berge in die Slowakei wandern.“ Das habe im letzten Jahr Jan mit seinen Eltern gemacht.

Die Warschauer Stadtverwaltung organisiert für Kinder, die in den Schulferien zuhause bleiben, jedes Jahr den „Sommer in der Stadt“. Angeboten werden Ballspiele, gemeinsame Ausflüge zum Schwimmen, Besichtigungen, Basteleien. „Das war auch in Ordnung“, sagt Julia und nickt heftig mit dem Kopf, setzt aber hinzu: „Na ja, es ist ein bisschen so wie in der Schule, nur ohne Noten.“ Sie sieht ihre behinderte Mutter an, die ohne Mann drei Kinder großziehen muss, es aber immer wieder schafft, das Geld für die allernotwendigsten Ausgaben zusammenzubekommen.

Barbara T. wischt ein paar Krümel vom Küchentisch. Resolut erklärt sie: „Die Stadt will jetzt von den Eltern Geld haben für Frühstück und Mittagessen der Kinder. Das kann ich mir nicht leisten. Also müssen wir uns für Julia und die beiden Großen etwas anderes einfallen lassen.“ Sie deutet auf einen Stapel Kinderbücher. „Die bekommen wir von einer befreundeten Feministin, die immer fürs Fernsehen und für Zeitungen Bücher rezensiert. Julia verschlingt die Bücher. Das ist gut.“ Aber es wäre schön, wenn die Kinder nicht auf Schritt und Tritt spüren müssten, dass sie arm seien. „Unser größter Traum ist ein gemeinsamer Urlaub“, seufzt Barbara T.: „Mal raus aus Warschau! Vielleicht sogar ins Ausland. Das wäre fantastisch!“

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