Ermittlungen gegen Rockerclubs: Türkische Engel unter Druck

Die Polizei bedrängt die Rockergruppen in Berlin. Die werden immer größer, viele Mitglieder sind Migranten. Die Aufnahmekriterien sind aufgeweicht worden.

Unter Druck der Polizei: Zwei mutmaßliche Mitglieder der Bandidos. Bild: dpa

BERLIN taz | Dreimal ist die Polizei innerhalb der letzten Woche in Berlin und Brandenburg mit einem Großaufgebot in der Biker-Szene eingeritten. Wohnungen und Clubhäuser wurden durchsucht, Motorräder, Waffen, Bargeld und Computer beschlagnahmt. Die letzte Aktion erfolgte Donnerstag früh.

Mit rund 1.000 Beamten war die Polizei im Einsatz. Anlass war ein Ermittlungsverfahren wegen schwerer Bandenkriminalität und Drogenhandels. Sieben Haftbefehle gegen Mitglieder des Chapters „Bandidos Del Este“ wurden vollstreckt.

Bereits am Dienstag voriger Woche waren der „Hells Angels Motorcycle Club Berlin City“ und dessen Untergruppe „MG 81“ an der Reihe. Die Polizisten wollten dem Charter bei der Razzia die Verbotsverfügung überbringen, aber die Nachricht war vorher durchgesickert. Der Clubraum war ausgeräumt, das Vereinsschild abgeschraubt. Jetzt fahndet die Polizei in den eigenen Reihen nach dem Maulwurf.

Einst galten die Rocker als bärbeißige, langhaarige Harley-Liebhaber. Doch das stimmt vielfach nicht mehr. In Berlin und Brandenburg konzentrieren sich „Hells Angels“ und „Bandidos“ auf Revierkämpfe und Gewalttaten. Und noch ein anderer Trend fällt auf: In der Hauptstadt werden die Rocker migrantischer.

70 „Bandidos“ wechselten zu den „Hells Angels“

Im Februar 2010 hatten die Berliner „Hells Angels“ überraschende Verstärkung bekommen: Rund 70 Mitglieder der eigentlich verfeindeten „Bandidos“ samt ihrem Präsidenten Kadir P. traten geschlossen über – fast alle türkischstämmig. Sie firmierten zuerst als „Hells Angels Nomads Turkey“, bevor sie zu Vollmitgliedern wurden, dem „Charter Berlin City“.

Schon bei den „Bandidos“ hatte sich die Truppe um Kadir P. als unberechenbar und offen gewalttätig präsentiert. Das führte in der vergangenen Woche zum Verbot. Gleich mit verboten wurde die rund 40 Mitglieder starke Gruppe „MG 81“.

Diese, so heißt es in der Verfügung, sei „ein Zusammenschluss überwiegend junger Erwachsener mit Migrationshintergrund“, welcher der Hauptgruppe bei der „Durchsetzung von Macht- und Gebietsansprüchen“ helfe, ja „vermutlich nur zu diesem Zweck ins Leben gerufen“ wurde.

Immer weiter hat sich in Berlin die Gewalt zwischen „Bandidos“ und „Hells Angels“ in den letzten Jahren hochgeschaukelt. Es gab Attacken mit Macheten und Schusswaffen sowie Brandanschläge auf Clubhäuser. 2009 wurde gar ein 33-Jähriger Ex-„Angel“ erschossen. Beide Gruppen galten als unversöhnlich, Seitenwechsel als Hochverrat.

Laut Polizei gibt es knapp 1.100 Rocker in Berlin

Doch erst Ende Mai liefen erneut 20 Berliner „Bandidos“ über. Schon vor Jahren stellten Ermittler fest, dass die Fronten durchlässiger würden. Gleichzeitig weichten Aufnahmekriterien auf. Die Folge: Zählte die Polizei 2008 noch 650 Rocker in Berlin, sind es heute bereits knapp 1.100. Vor allem, so heißt es, arabische und türkische Jungmänner ziehe es in die Clubs.

Kadir P. mischte früh in der Szene mit. Mehrfach wurde er verdächtigt, an Messerstechereien beteiligt gewesen zu sein. P., heute Betreiber einer Shisha-Bar, kam stets mit Freispruch davon, weil sich Opfer nicht mehr an die Tat erinnern mochten. Es gehört zum Rockerethos, Probleme nicht mittels Polizei, sondern untereinander zu „lösen“.

Das „Outlaw“-Gehabe der Rocker, schrieb die Gewerkschaft der Polizei in einem Bericht im Frühjahr, habe eine „erkennbar starke Anziehungskraft auf Teile jugendlicher Subkulturen, insbesondere mit Migrationshintergrund“. Das gilt keineswegs nur für Berlin: In Bremen gründeten kurdische Zuwanderer 2010 die „Mongols“.

Der Rockerclub wurde wenig später wegen diverser Straftaten verboten. Bundesweit aber bleiben Migranten unter Rockern in der Unterzahl. Auch ein BKA-Bericht zählte 2010 bei 35 Rocker-Verfahren 33 Tatverdächtige mit deutscher Staatsangehörigkeit – und nur zwei mit türkischer.

Keine Kontrolle über das Rotlichtmilieu

Eines der Verfahren, ein versuchter Totschlag, ging auf das Konto der „Hells Angels Berlin City“. In der Verbotsverfügung wird ihnen zudem Schießereien, Messerattacken, Zuhälterei, Handel mit Cannabis, Kokain und Anabolika, ein Raubüberfall auf einen Juwelier und die Erpressung zweier Frisörläden vorgeworfen.

Von einer Kontrolle des Rotlichtmilieus scheinen die Hauptstadt-Rocker allerdings entfernt. Anders als zuletzt in Kiel und Hannover wurden in Berlin keine Bordelle durchsucht. Dennoch, so heißt es in der Verbotsschrift, würden die Rocker „ganze Straßenzüge“ für sich beanspruchen.

Kontakte zu Neonazis werden den Berlinern nicht vorgeworfen. Eine „strategische oder operative Zusammenarbeit“ gebe es nicht, teilte Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) Anfang des Jahres mit. Die Rocker seien „grundsätzlich bemüht, Distanz zur rechtsextremistischen Szene zu halten“.

Nur vereinzelt gebe es „individuelle, persönliche Kontakte“, vor allem im Osten der Stadt. Dort tummeln sich frühere Rechte beim „Gremium MC“. Dieser Club hat aber unter Berliner Rockern schon länger nichts mehr zu sagen.

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