Sinologin über Mo Yan: „Der bedeutendste Erzähler Chinas“

Die deutsche Sinologin und Literaturwissenschaftlerin Eva Müller freut sich über die Wahl des Nobelpreiskomitees – auch wegen seiner interssanten Frauengestalten.

Muss nicht mehr entdeckt werden: Literaturnobelspreisträge Mo Yan. Bild: reuters

taz: Frau Müller, was haben Sie gedacht, als Sie hörten, dass Mo Yan den Preis bekommt?

Eva Müller: Ich habe an Martin Walser gedacht. Er hat schon 2009 gesagt: „Wer heute über China schreibt, sollte Mo Yan lesen.“ In meinen Augen ist Mo Yan seit den achtziger Jahren der bedeutendste Erzähler Chinas. Da haben sie nicht jemanden genommen, den sie erst entdecken mussten, sondern jemanden, der nur in den anderen Ländern der Welt entdeckt werden muss.

Warum ist er so wichtig?

Schon in seinem ersten Roman, „Das rote Kornfeld“, hat er historische Fragen als Menschheitsfragen gesehen. Seine Frauengestalten sind auch immer interessant.

Warum?

Anfänglich war es noch die unterdrückte Frau, die trotzdem ihren Weg findet. Im letzten Roman, „Die Sandelholzstrafe“, ist auch eine Frau die Hauptfigur – in diesem Fall ist es eine Ärztin, die das Heft in der Hand hält.

79, Wissenschaftlerin und Übersetzerin chinesischer Literatur. Sie war bis 1998 Professorin für Sinologie und Literatur an der Humboldt-Universität in Berlin und später Gastprofessorin an der FU Berlin.

Woran liegt es, dass Mo Yan bei uns so unbekannt ist?

Chinesische Literatur, wenn sie nicht als sogenannte Dissidentenliteratur gepuscht wird, hat bei uns den Ruch, keine künstlerische, sondern eine soziologische Literatur zu sein. Sie sei langweilig. Tatsächlich ist sie ja manchmal auch langatmig. Ein anderes Problem ist das Marketing. Ganz wertlose Sachen wie „Shanghai Baby“ zum Beispiel, die keiner in China gelesen hat, wurde hier groß herausgestellt.

Dabei geht es um die erotischen Abenteuer einer jungen Chinesin …

Das wurde als ganz was Neues dargestellt. Aber die chinesische Literatur, sogar die offizielle Literatur, hatte ja immer schon erotische Aspekte. Da wird behauptet, das ist das Allerbeste und das Allerneueste, und dann kaufen die Leute bei uns das.

Warum ist uns chinesische Literatur oft fremd?

Die Chinesen erzählen immer Geschichten. Deshalb haben sie übrigens auch auch mit der deutschen Literatur Schwierigkeiten, weil da keine Geschichten mehr drin sind.

Warum werden Dissidenten eher gekauft als Schriftsteller, die in China auch publizieren können?

Ich weiß nicht, ob sie eher gelesen werden – aber sie werden hier stärker vermarktet. In China wird Mo Yan viel gelesen und viel beachtet. Das liegt an seiner Ehrlichkeit. In seinem neuesten Roman rechnet er mit der 1-Kind-Politik ab. In einem Interview hat er gesagt: Ich habe mich damals auch nicht gewehrt. Dafür will er mit seinem Buch etwas Buße tun.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.