Datenklau Apothekerlobby: Die Komplizen des Maulwurfs

Im Auftrag eines Apothekerlobbyisten soll ein IT-Mitarbeiter Geheimdokumente ausspioniert haben. Jetzt gibt es möglicherweise Hintermänner.

Sieht so harmlos aus: Apotheken-Logo Bild: dapd

BERLIN taz | Es war eine reguläre Verbandsbesprechung, eingeladen hatte das Bundesgesundheitsministerium in Berlin. Zu diskutieren war unter anderem die geplante „4. Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung“.

So heißt das Paragrafenwerk, das neben Vorschriften zur Lagerung von Medikamenten beispielsweise regelt, wie groß Apotheken in Deutschland zu sein haben („mindestens 110 Quadratmeter“), was genau Pharmazeuten dokumentieren müssen, wenn sie Arznei anrühren, und ob jede Apothekenklitsche ein eigenes Labor vorhalten muss. Für Apotheker geht es dabei stets auch um Macht und Privilegien.

Im Juni 2012 sollte die neue Verordnung in Kraft treten; einige Monate vorher trafen sich die Vertreter der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, kurz Abda, mit Sachbearbeitern aus dem Arzneimittelreferat im Hause von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).

Ein Austausch, wie er im deutschen Gesundheitswesen gang und gäbe ist: Das System basiert auf der gemeinsamen Selbstverwaltung der beteiligten Akteure sowie – bei allem Widerstreit der Interessen – auf dem Grundkonsens der gegenseitigen Fairness.

Fragwürdige Methoden

Bislang jedenfalls. Bis einem der Sachbearbeiter aus dem Ministerium bei dem Treffen zufällig ein winziges Detail ins Auge sprang. Ein Detail, das ein neues Licht wirft auf die im Dezember bekannt gewordene Datenspionage im Bundesgesundheitsministerium – und den Verdacht nährt, die ohnehin schon mächtige Apothekerlobby schrecke womöglich nicht vor fragwürdigen Methoden zurück, um ihre Interessen durchzusetzen.

Aktuell jedenfalls beschäftigt der Vorfall die Justiz in der Hauptstadt, wie die taz aus Ermittlerkreisen erfuhr: Demnach zickten sich bei dem Treffen einige Abda-Leute an, weil einer ihrer Kollegen aus der Berliner Zentrale offenbar ein Papier dabeihatte, das andere Abda-Leute aus den Regionen bis dahin nicht kannten. Der Ministeriumsbeamte jedenfalls, so schildern es Ermittler, wurde daraufhin stutzig.

Und erkannte sodann zu seinem Erstaunen, dass das fragliche Papier in den Händen des Abda-Mannes ein Papier war, das exakt so auch in seinen eigenen – genau! – Ministeriumsunterlagen lag. Und nur dort auch liegen durfte. Denn es handelte sich um ein vertrauliches, ausschließlich ministeriumsintern zirkulierendes Dokument. Wie war es in die Abda-Mappe gelangt?

Dass es im Bundesgesundheitsministerium über Jahre ein Datenleck gegeben hat, das ist seit Mitte Dezember bekannt. Damals wurde öffentlich, dass der Systemadministrator Christoph H., eingekauft von einem externen IT-Dienstleistungsunternehmen, offenbar über Jahre vertrauliche Daten ausgespäht hatte, vor allem aus dem Apotheken- und Arzneimittelbereich.

Gegen Geld, das verriet später die Exfrau des ITlers, habe dieser die Daten an den Apothekerlobbyisten, ehemaligen Abda-Pressesprecher und seit 2011 selbstständigen Kommunikationsunternehmer Thomas B. aus Berlin weitergegeben; die Rede ist von etwa 500 Euro pro Lieferung, und dies bis zu viermal monatlich.

Datenübergabe am Gendarmenmarkt

Die Datenübergaben erfolgten nach Recherchen der taz unter anderem auf dem Gendarmenmarkt und im Lidl in der Luisenstraße in Berlin-Mitte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen beide wegen des Verdachts des Ausspähens von Daten und Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz; es drohen Geld- oder Haftstrafen.

Bereits im November 2012 wurden Privatwohnungen und Büroräume von H. und B. durchsucht, Medien und Datenträger beschlagnahmt. Wochenlang gingen die Ermittler davon aus, der Lobbyist B. habe den Systemadministrator H. zunächst zufällig privat kennengelernt und erst später zur Datenspionage animiert.

Die illegal heruntergeladenen Dokumente soll B. sodann genutzt haben, um unter anderem Apotheke adhoc, ein Onlineportal, mit Nachrichten zu versorgen. Apotheke adhoc wird betrieben von der Berliner Agentur El Pato, deren Geschäftsführerin laut Handelsregister wiederum B.s Ehefrau ist, und konnte in den letzten Jahren mehrfach mit Exklusivinformationen aus dem Ministerium aufwarten.

Der Anwalt von Thomas B. ließ zu all diesen Vorwürfen wissen, ihm lägen keine Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft vor. Auf der Website von Apotheke adhoc war zu den Vorwürfen zu lesen: „Wir […] können zu den […] Mutmaßungen und Fragen naturgemäß keine Stellung nehmen und unsere Informanten preisgeben. […] Da helfen auch keine konstruierten Verdachtsmomente wie die gemeinsame Gründung der Firma EL PATO vor sieben Jahren, die Ehe (und der gemeinsame Hund) […] und die gemeinsame Büroanschrift.“

Die politische Dimension

Nun aber war erstmals ein internes Dokument offenbar direkt bei der Abda aufgetaucht. Der Fall könnte damit eine politische Dimension bekommen, geeignet, die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen grundlegend zu erschüttern. Sollte sich herausstellen, dass es Hintermänner gab, dass möglicherweise sogar die Abda selbst oder Teile von ihr – entgegen ihren bisherigen Beteuerungen – involviert waren, dann ginge es nicht mehr nur um Datenklau.

Sondern darum, dass ein Lobbyverband, dessen Mitgliedern der Staat Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge übertragen hat und die er bei Regelungen zur Arzneimittelversorgung stets ein Wörtchen mitreden lässt, eiskalt und mit rechtswidrigen Mitteln seine Partikularinteressen durchzusetzen versucht hätte.

Das bei dem Abda-Vertreter entdeckte Geheimdokument aus dem Ministerium ist angeblich nur ein Hinweis unter mehreren für mögliche Verstrickungen bis in die Abda hinein. Nach Informationen der taz gehen die Ermittlungsbehörden diesen Hinweisen nun zumindest nach: Hatte die Abda Kenntnis von der Spionage? Nutzte sie die illegal beschafften Dokumente? Bezahlte sie gar dafür? Und warum sollte sie das überhaupt getan haben?

„Wer Kenntnis erlangt über die strategischen Vorüberlegungen seines Verhandlungspartners, also in dem Fall des Gesundheitsministeriums, der hat nicht bloß einen Informationsvorsprung“, sagt ein langjähriger Beobachter der Apothekerszene. „Er kann vielmehr seine eigenen Daten diesen Überlegungen anpassen, etwa indem er sie selektiert.“

Wussten sie bescheid?

Der taz liegen Aussagen aus dem Umfeld des IT-Mitarbeiters Christoph H. vor. Sie legen nahe, dass hochrangige Apothekerfunktionäre zumindest informiert gewesen sein könnten über die Herkunft mancher brisanter Dokumente. Auch sollen sie die von H. im Auftrag von B. ausgespähten Informationen mitausgewertet haben.

Ob und welche Funktionäre dem Lobbyisten B. auch Geld zahlten, ist diesen Kreisen zufolge nicht belegt; vermutet wird es jedoch. Die Rede ist von Beträgen im sechsstelligen Bereich, die B. kassiert haben soll.

Die Abda bestreitet all dies vehement. Ein Sprecher schreibt der taz: „An solchen spekulativen Aussagen beteiligen wir uns natürlich nicht.“ Im Übrigen habe die Abda einen Wirtschaftsprüfer und einen externen Complianceberater verpflichtet. Diese, schreibt der Abda-Sprecher, würden „die Organisation intern danach abklopfen, ob an den Vorwürfen im Rahmen der ’Datenklauaffäre‘ etwas dran sein könnte. Dem Abschlussbericht werden wir nicht vorgreifen.“

Die Abda ist nicht irgendein Verein. Sie ist die Spitzenorganisation der rund 59.000 Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland. Ihre Mitgliedsorganisationen sind die Apothekerkammern und die Apothekerverbände der Länder. Ihr Geld erwirtschaftet die Abda unter anderem mit der Werbe- und Vertriebsgesellschaft Deutscher Apotheker mbH (WuV), einem Tochterunternehmen mit Sitz in Eschborn.

Das Imperium der Abda

Dessen verschiedene Unternehmensbereiche wiederum befassen sich mit der Entwicklung von Arzneimitteldaten für das Gesundheitswesen sowie der Organisation von Messen und Kongressen von Apothekern. Daneben gehört zum Imperium der Abda der Govi-Verlag, ein pharmazeutischer Fachverlag, ebenfalls mit Sitz in Eschborn.

Zum Repertoire zählt unter anderem die Pharmazeutische Zeitung. Für diese war der heute selbstständige Unternehmer Thomas B. über Jahre leitender Redakteur. „Dem“, so erinnert sich eine PR-Frau, die ihn lange kennt, „war keine Kampagne zu schmutzig.“ Und ein Kollege aus dem Pharmabereich sagt: „Im persönlichen Gebaren ging B. immer an die Grenze.“ Qualitäten, für die die Abda-Spitze B. offenbar geschätzt habe.

2007 will B. die Abda verlassen. Doch der Abda gelingt es, ihn zu halten – mit einem attraktiven Angebot: B. steigt zum Leiter der Abda-Unternehmenskommunikation auf. In der Folgezeit bedenkt die Abda die Kommunikationsagentur von B.s Ehefrau, El Pato, und deren Onlineportal Apotheke adhoc mit Aufträgen.

So schaltet die Abda ab und zu Werbebanner bei Apotheke adhoc. Zwischen 2007 und 2011, auch das hat die Abda gegenüber der taz bestätigt, erledigt El Pato unter anderem den Faxversand für mehr als 20.000 Apotheken. Sie verschickt auch Pressemitteilungen im Auftrag der Abda. Nach Recherchen der Deutschen Apotheker Zeitung soll sie hierfür über die Jahre einen kleinen einstelligen Millionenbetrag kassiert haben.

Abda weist die Darstellung zurück

Gegenüber der taz weist die Abda diese Darstellung zurück. Gemessen am gesamten Abda-Kommunikationsbudget, das unter fünf Millionen Euro jährlich liege, hätten die Zahlungen an El Pato etwa 1 Prozent ausgemacht.

Es sind diese Verflechtungen, die auch die Ermittler in den nächsten Wochen interessieren dürften. Der taz versprach B. vorab schon mal freundlich Aufklärung: „Für ein Gespräch stehe ich dann gerne zur Verfügung, wenn wir die Akte gesehen haben.“

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