Der Bürgermeister als Vorbild

LOKALES HANDELN Eine Studie zeigt: Das Verhalten der Lokalpolitiker ist entscheidend, um den Einfluss von Neonazis einzudämmen

HAMBURG taz | Die NPD will „volksnah und gegenwartsbezogen“ Themen aufgreifen, schrieb Holger Apfel, als er 2011 zum Bundesvorsitzenden der NPD gewählt wurde. Statt als „Bürgerschrecktruppe“ solle sie als „Kümmererpartei“ erscheinen. Dort, wo die Gesellschaft ein Vakuum bei Problemen entstehen lässt, sagt Fabian Virchow, Leiter der Forschungsstelle Rechtsextremismus/Neonazismus an der FH-Düsseldorf (Forena), bilden sich für Rechtsextrem Chancen zur Inszenierung und Akzeptanzgewinnung.

Wie das geht, zeigt das Beispiel Insel. Seit 2011 wohnen in dem kleinen sachsen-anhaltischen Dorf im Landkreis Stendal zwei verurteilte Sexualstraftäter. Anwohner waren besorgt. Ortsbürgermeister Alexander von Bismarck war beim Protest in der erste Reihe, er lancierte ein Unterschriftenliste gegen die verurteilte Täter. Rechtsextreme unter den Demonstranten soll er begrüßt haben.

Dieses Miteinander kritisiert „Miteinander e. V.“. Pascal Begrich, Geschäftsführer des Vereins, der in der Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus aktiv ist, mahnt aber auch: „Erst nach der offenen Beteiligung von Neonazis reagierte die Landesregierung.“ Die lokalen Verantwortlichen hätten zuvor zu wenig unternommen. Dabei sei ihr Verhalten entscheidend.

Das sagt auch der Sozialwissenschaftler Fabian Virchow. Seine Forschungsstelle hat gerade eine Auseinandersetzung in Stollberg untersucht. In der nordrhein-westfälischen Stadt in der Nähe von Aachen hatten 2008 „Autonome Nationalisten“, „Freie Kameradschaften“ und die NPD den Tod des 19-jährigen Kevin P. genutzt, um gegen eine offene Gesellschaft zu hetzten. P. war von einem Mann ausländischer Herkunft erstochen worden. Die NPD stilisierte ihn umgehend zum Märtyrer. Bereits einen Tag nach der Tat kamen 170 Rechtsextreme zu einer Mahnwache. Wenige Tage später marschierten 800 Rechte auf. Weitere Aktionen unter dem Motto „Gegen Ausländergewalt und Deutschfeindlichkeit! – Mord! Trauer! Widerstand!“ folgten.

„Am Anfang hatte die Stadt versucht, den Vorfall zu ignorieren. „Einzelne Anwohner nahmen an den Aufmärschen teil“, sagt Virchow. Die bisher unveröffentlichte Studie zu Stollberg belegt, dass sich mit der „eindeutigen Positionierung des Bürgermeisters“ ein „Stimmungswechsel“ entwickelte. So hätten weitere Personen gewagt, sich gegen rechts auszusprechen und zu engagieren. Das hatte positive Folgen für die Stadt – und für den Bürgermeister. Eine Straßenumfrage habe gezeigt, „der Zuspruch für ihn war hoch, das Engagement wurde sehr begrüßt, sagt Virchow. ANDREAS SPEIT