Hinweise auf C-Waffen verdichten sich

WAHRHEIT Es bleibt weiterhin ungeklärt, welche Seite im syrischen Krieg für den vermuteten Einsatz der international geächteten Waffe verantwortlich ist. Die Zeit läuft den UN-Kontrolleuren davon

GENF taz | Wurden am letzten Mittwoch östlich von Damaskus gezielt international geächtete Chemiewaffen eingesetzt? Durch die Streitkräfte des Assad-Regimes, wie es die meisten westlichen Regierungen inzwischen nahelegen? Durch die Rebellen, wie das Assad-Regime und das russische Außenministerium behaupten? Oder wurde ein C-Waffen-Lager von einer der Konfliktparteien durch absichtlichen oder unabsichtlichen Beschuss mit konventionellen Waffen zerstört und dabei Giftgas freigesetzt?

Keine dieser relevanten Fragen ist bislang beweiskräftig geklärt. Den C-Waffen-Experten der UNO, die die Antworten vielleicht liefern könnten, genehmigte das Assad-Regime zwar am Sonntag den Zugang zu den Orten des Geschehens. Doch noch konnten die UN-Vertreter nicht vor Ort recherchieren und sich ein Bild von der Lage und dem Zustand der zahlreichen Verletzten machen.

Allerdings verdichten sich die Hinweise, dass tatsächlich Giftgas ein- oder freigesetzt wurde. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtete am Wochenende, am vergangenen Mittwochmorgen seien etwa 3.600 Patienten mit „neurotoxischen Symptomen“ in drei Kliniken nahe Damaskus eingeliefert worden. 355 von ihnen seien gestorben.

Das Hilfswerk beruft sich auf medizinisches Personal der Krankenhäuser, die von Ärzte ohne Grenzen unterstützt werden. Wegen erheblicher Sicherheitsrisiken hätten MitarbeiterInnen der Hilfsorganisation die drei Kliniken bislang allerdings nicht selbst aufsuchen können.

Das medizinische Personal in den Kliniken habe „detaillierte Informationen über eine große Zahl von Patienten geliefert“, erklärte der Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen, Bart Janssens. Es seien „Symptome wie Krämpfe, übermäßige Speichelbildung, stark verengte Pupillen, verschwommener Blick und Atemnot beschrieben“ worden. Janssens betonte, die Hilfsorganisation könne weder die Ursachen der beschrieben Symptome eindeutig bestimmen noch ermitteln, wer für den möglichen Angriff verantwortlich sei. Doch die Symptome deuteten „stark auf einen massenhaften Kontakt mit einem neurotoxischen Stoff“ hin. Besonders die stark verengten Pupillen vieler Opfer – ein Symptom, das bei den Opfern früherer mußmaßlicher C-Waffen-Einsätze in Syrien zwischen Herbst 2012 und April dieses Jahres nie festgestellt wurde – stärken den Verdacht, dass tatsächlich Nervengifte eingesetzt wurden.

Infrage kämen Sarin oder VX, wovon die syrischen Streitkräfte nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste 700 Tonnen bzw. 100 Tonnen besitzen. Das Problem: Sarin und VX dringen durch die Atemwege und die Haut ein und lassen sich nur bis maximal sechs Tage später im Blut, Urin oder in anderen Körperflüssigkeiten der Opfer nachweisen. Ein von holländischen Forschern entwickeltes DNA-Verfahren, das einen Nachweis bis zu vier Monate später ermöglicht, ist sehr aufwendig und funktioniert nur für Sarin. Im Boden lassen sich Spuren von Sarin und VX zwar mehrere Wochen nach einem Giftgaseinsatz nachweisen. Doch beweiskräftig können Bodenproben nur sein, wenn sie möglichst schnell nach einem Einsatz von unabhängigen Experten am Ort des Geschehens entnommen werden.

ANDREAS ZUMACH