Die hart umkämpfte Festung

STREIT Der wichtigste deutsche Literaturverlag soll zur AG werden, um einen Gesellschafter auszuschalten. Der Coup könnte gelingen

Der Verlag sei gar nicht zahlungsunfähig, glaubt Barlach, und verzichtet vorläufig auf seinen Gewinn

AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH

Der Kampf um die Macht im Suhrkamp Verlag geht in die entscheidende Runde. Im Vorteil ist jetzt eindeutig die Familienstiftung von Ulla Unseld-Berkéwicz. Denn am Mittwoch hat das OLG Frankfurt faktisch den Weg freigemacht, Suhrkamp in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und so den Einfluss des unliebsamen Gesellschafters Hans Barlach zu beschneiden.

Derzeit gehört der Verlag zu 61 Prozent der Unseld-Familienstiftung, die von Ulla Unseld-Berkéwicz geführt wird. Unseld-Berkéwicz ist die Witwe von Joachim Unseld, der den Verlag von 1959 bis zu seinem Tod 2002 groß gemacht hatte. Sie amtiert auch als eine der drei GeschäftsführerInnen des Verlags. Ihr großer Gegner ist der Kaufmann Hans Barlach, der mit seiner Medienholding 2006 bei Suhrkamp eingestiegen war und derzeit 39 Prozent der Anteile innehat. Barlach wirft Unseld-Berkéwicz vor, sie könne nicht wirtschaften. Unseld-Berkéwicz meint, Barlach ginge es nur ums Geld und nicht um Literatur.

Unliebsamer Investor

Barlachs starke Stellung im Verlag beruht auf einem 2009 geschlossenen Vertrag. Darin stimmte er dem von Unseld-Berkéwicz gewünschten Suhrkamp-Umzug von Frankfurt nach Berlin zu, bekam im Gegenzug aber starke Vetorechte bei allen größeren Ausgaben.

Diese Mitspracherechte missachtete die Suhrkamp-Geschäftsführung, als sie eine teure Verlags-Repräsentanz in Unseld-Berkéwiczs Berliner Privatvilla anmietete. Auf Klage von Barlach beschloss deshalb das Landgericht Berlin im Dezember 2012, dass Unseld-Berkéwicz und die beiden anderen Geschäftsführer wegen Pflichtverletzung ihre Posten verlieren. Noch aber sind sie im Amt, denn über die Berufung will das Berliner Kammergericht erst am 17. Dezember 2013 verhandeln.

Da eine gute Zusammenarbeit nicht möglich schien, beantragte die Familienstiftung beim Landgericht Frankfurt, Barlachs Medienholding als Gesellschafterin des Verlags auszuschließen. Barlach verlangte daraufhin, die Familienstiftung auszuschließen oder sogar den Suhrkamp Verlag ganz aufzulösen. Spätestens jetzt war der Gesellschafter-Streit Großthema in allen Feuilletons. Das Landgericht kündigte inzwischen ein Urteil für den 13. November an.

Im Mai holte die Suhrkamp-Geschäftsführung allerdings zum ganz großen Coup aus und beantragte ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Dieses sogenannte Schutzschirm-Verfahren war erst 2012 in die Insolvenzordnung, das maßgebliche Gesetz, eingeführt worden. Es soll ein Anreiz sein, Unternehmen frühzeitig zu sanieren, indem die bisherige Geschäftsführung trotz Überschuldung im Amt bleiben kann. Das Unternehmen wird drei Monate lang vor allen Gläubigern geschützt, um einen Plan für den Neubeginn auszuarbeiten. Dieser Insolvenzplan sieht im Fall Suhrkamp vor, dass der Verlag in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird. Das hätte zur Folge, dass Barlach seine Kontrollrechte aus dem Vertrag von 2009 verlieren würde, während Unseld-Berkéwicz als Vorstand der neuen AG weiterhin schalten und walten könnte.

Barlach lehnt deshalb das ganze Insolvenzverfahren ab. Der Verlag sei gar nicht zahlungsunfähig. Um dies zu untermauern, verzichtete er vorläufig auf seinen Gewinnanteil für das besonders ertragreiche Jahr 2010 in Höhe von 2,2 Millionen Euro. Dessen Auszahlung hatte er erst im März gerichtlich durchgesetzt, was die Suhrkamp-Geschäftsführung geschickt als Anlass für den Insolvenzantrag nutzte. Mit einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Frankfurt erreichte er im Juli, dass auch die Familienstiftung vorläufig auf ihren 2010er-Gewinn verzichten muss.

Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg eröffnete Anfang August dennoch das Insolvenzverfahren und ließ Anfang September den Insolvenzplan zu. Es ging davon aus, dass Suhrkamp tatsächlich insolvent ist und stützte sich dabei auf zwei Gutachten von Wirtschaftsprüfern.

Barlach ließ aber nicht locker und erreichte am 10. September eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt, dass die Familienstiftung dem Insolvenzplan nicht zustimmen dürfe. Sie würde sonst ihre „Treuepflichten“ gegenüber dem Minderheitsgesellschafter Barlach verletzen. Das Frankfurter Landgericht nimmt an, dass das Insolvenzverfahren nur dazu dient, Barlach auszuschalten.

Dieser Stolperstein ist nun aber auch beseitigt. Am Mittwoch entschied das OLG Frankfurt, dass die Familienstiftung doch zustimmen kann. Der Versuch, mit solchen Verfügungen auf das Insolvenzverfahren einzuwirken, sei schon im Ansatz „unzulässig“, so das OLG.

Bei der Gläubigerversammlung am 22. Oktober werden dem Suhrkamp-Insolvenzplan nun vermutlich alle drei Gruppen mehrheitlich zustimmen: die Gesellschafter, die Gläubiger und die Pensionsberechtigten. Danach entsteht die neue Suhrkamp AG.

Bisher ist es Barlach nicht gelungen, direkt gegen den Fortgang des Insolvenzverfahrens vorzugehen, weil das Gesetz hier keine Rechtsmittel vorsieht. Barlach hat daher inzwischen Verfassungsbeschwerde eingelegt und dabei indirekt auch das Gesetz angegriffen. Er hat in Karlsruhe aber noch keine Eilentscheidung beantragt.

Geld gegen Kunst

Denn eine wichtige Chance hat Barlach noch. Gegen den Beschluss der Gläubigerversammlung am 22. Oktober ist erstmals ein reguläres Rechtsmittel möglich. Auf Klage von Barlach kann und muss dann entschieden werden, ob das Insolvenzverfahren rechtsmissbräuchlich war. Wenn das Landgericht Berlin von einem „besonders schweren Rechtsverstoß“ ausgeht, hat die Klage Barlachs laut Gesetz sogar aufschiebende Wirkung. Während die Feuilletons überwiegend auf Unseld-Berkéwicz’ Seite stehen, drücken viele Wirtschaftsexperten Barlach die Daumen, da sie bei Suhrkamp einen gefährlichen Präzedenzfall sehen.

Gelingt die Transformation des Verlags in eine AG, dann würden auch die noch ausstehenden Urteile in Frankfurt (13. November) und am Berliner Kammergericht (17. Dezember) plötzlich bedeutungslos – da sich die Prozesse nur auf die alte Suhrkamp-Kommanditgesellschaft beziehen. Wer wen aus der Verlags-Gesellschaft ausschließen kann, ist dann ebenso wenig relevant wie die Abberufung von Unseld-Berkéwicz als Geschäftsführerin. Der Coup mit der Insolvenz hätte wirklich Tabula rasa gemacht.