Ein fast normaler Job

PROSTITUIERTE Wenn Frauen sexuelle Dienstleistungen anbieten, muss nicht immer Zwang dahinterstecken. Manche sehen darin ganz nüchtern eine Möglichkeit, schnell zu Geld zu kommen. Andere sagen, dass es ihnen sogar Spaß macht. Ein Damenbesuch in Hamburg und Bremen

VON GERNOT KNÖDLER

„Amazone Gina“ präsentiert sich gerne als Cowgirl. In ihrem Arbeitszimmer steht ein Plexiglasregal, in dem ein Zaumzeug liegt und oben drauf ein Reiterhut. An der Wand daneben prangt ein Andreaskreuz mit Handschellen, in einer Ecke stehen zehn Paar Pumps mit Plateausohlen. Gina hat Bereiterin gelernt, was praktisch ist, wenn man eine Website mit Sex-Werbung bestücken muss. Ein Profilbild mit Peitsche tut das Übrige.

Gina ist Mitte 20, hat glattes blondes Haar und eine entschlossene, burschikose Art zu sprechen. Sie trägt ein Sweatshirt und modebewusst zerschlissene Jeans. Zusammen mit vier weiteren Frauen betreibt sie eine Art Prostituierten-WG in einer unscheinbaren Backsteinvilla in einem Hamburger Vorort. Zentrum der WG ist die Küche, Korbsessel stehen um einen weißen Tisch, auf den Sideboards Batterien eingeschweißter Wasserflaschen. Es gibt einen großen Fernseher, einen Computer und ein Bett mit Zebramuster-Überzug.

Der Debatte über ein Verbot von Prostitution, die die Zeitschrift Emma angestoßen hat, kann Gina nichts abgewinnen. „Das ist für mich das ganz Schlimme, dass Prostitution immer mit Gewalt und Drogen in Verbindung gebracht wird“, sagt sie. „Prostitution ist immer freiwillig, das andere ist Zwangsprostitution und Menschenhandel.“ Keine der Frauen habe einen Zuhälter. „Wir sind Appartment-Frauen“, sagt Gina. „Mit dem Kiez haben wir nichts zu tun.“

Ihre Kollegin „Brenda“ kommt herein. Aus einer großen Papiereinkaufstüte zieht sie triumphierend ein paar schwarz glänzende Moonboots heraus sowie eine türkisgrüne Bommelmütze. „Das ist meine Farbe, wo hast Du die her? Du hättest mir welche mitbringen können“, sagt Gina neidisch. Eine Freundin, die gerade zu Besuch ist, jauchzt begeistert.

Gina legt Wert auf Differenzierung: „Prostitution findet auf vielen Ebenen statt“, sagt sie. Auf dem Kiez, in Clubs, in Wohnwagen auf der Straße, professionell, aber auch gelegentlich. Natürlich gebe es schwarze Schafe und Gewalt im Gewerbe. Aus Rumänien und Bulgarien hergekarrte Frauen würden doch wohl zum großen Teil zur Prostitution gepresst.

„Man muss unterscheiden“, findet Gina: „Was sind deutsche Frauen, die sich diesen Job gesucht haben und sagen, ich hab Spaß dran, und was sind ausländische Frauen, die dazu unter falschen Versprechungen hierhergelockt werden?“ Ohne Kontakte, ohne Sprachkenntnisse, ohne Kenntnis der hiesigen Verhältnisse und noch dazu bedroht, seien sie tatsächlich zur Prostitution gezwungen. Dem zu begegnen wäre eine Aufgabe für den Gesetzgeber.

Frauen, die sich in der Villa einmieten wollen, fragt sie als Erstes: „Wie kommst du dazu, bist du der Meinung, du kannst das machen?“ Viele Frauen bildeten sich ein, sie könnten auf einfache Weise viel Geld machen. Was wirklich hinter dem Beruf einer Hure stecke, könnten sich aber nur wenige vorstellen. „Man kommt in Situationen und Gelegenheiten, die man vorher nie gehabt hat“, sagt Gina. „Nicht jede Frau ist dafür geschaffen.“

Eines der weißen iPhones auf dem Tisch klingelt: „Gina hier, was möchtest du denn gerne machen in der Stunde?“ – „Nee, biet’ ich nicht an.“ Selbst zu entscheiden, was sie mit wem, wann machen will – Analverkehr, Aufnahme von Sperma, Natursekt –, gehört für sie zum Berufsbild einer Hure. Brenda kommt wieder rein, nackt. „Na, haste dich angezogen?“, fragt Gina.

Ihr persönliches Umfeld haben die Frauen weitgehend im Unklaren gelassen über ihren Broterwerb. „Stellen Sie sich vor, Ihre Tochter prostituiert sich“, sagt Gina. „Sie werden sich fragen: Was habe ich falsch gemacht? Hat sie einen Zuhälter? Nimmt sie Drogen?“ Nur wenige Menschen könnten sich vorstellen, dass Frauen Lust an dem Gewerbe hätten.

Ginas einzige Freundin, die Bescheid weiß, ist gerade zu Besuch. „Wo fängt Prostitution an?“, fragt sie an den Küchentresen gelehnt. „Wenn eine einen abschleppt und sich ’ne Schachtel Kippen geben lässt?“ Bei Ginas Kollegin „Xania“ weiß der Mann Bescheid, den sie kürzlich geheiratet hat. Sie hat ein rosa Bikini-Oberteil an, dazu ein passendes Röckchen mit schwarzem Rand. Ihre Plüschpuschen haben Öhrchen. Sie und ihr Mann drehen zusammen Pornos, was auch die Familie weiß. Dass Xania anschaffen geht, weiß die Familie nicht.

Von dem 2002 in Kraft getretenen Prostitutionsgesetz, das den Hurenlohn zur einklagbaren Forderung macht, ist sie nicht begeistert. „Was hat mir das Gesetz gebracht?“, fragt Gina. Sie könne ein Gewerbe anmelden und müsse Steuern zahlen. „Aber ich kann nicht zur Bank gehen und sagen: Ich bin Prostituierte und will ein Konto eröffnen.“ Gina hat es versucht und ist rausgeflogen. Daran, dass sie die Lidl-Verkäuferin schief ansehen würde, wüsste sie um ihren Job, habe sich nichts geändert.

Dem Stigma und diversen Vorurteilen zu begegnen, hat sich Klaus Fricke in Bremen vorgenommen. In seinem „Haus 9“ vermietet er „Betriebsstätten zur gewerblichen Tätigkeit an Menschen in der Sexarbeit“, wie es auf der Homepage heißt. Doch um sich beim Gewerbeamt anmelden zu können, bedurfte es einer Petition an die Bremische Bürgerschaft. „Im Gewerberecht gilt Prostitution als sozial unwerte Tätigkeit“, sagt Fricke. Offenbar sei das Prostitutionsgesetz noch nicht auf den nachgeordneten Ebenen angekommen.

Das Haus 9 ist eine Zimmerflucht in einem ebenerdigen Gebäude am Ende eines Gewerbehofs. Hindenburglichter weisen den Weg zur Tür. Fricke versucht hier zu beweisen, dass sich auch für Frauen aus Rumänien eine faire Arbeitsumgebung herstellen lässt. Während Ginas Hamburger „Villa der Sünde“ den Charakter einer WG hat, fühlt man sich im Haus 9 eher wie bei einer Familie. „Alissa“, „Julia“ und „Isabella“, zierlich, in rosa, lila, roten Bademänteln und Plüschstiefeln sitzen auf einem kleinen Sofa verteilt im Wohn-Esszimmer-Büro des Bordells. Frickes Frau mit dem Künstlernamen „Lara Freudenberg“, die selbst aus Rumänien kommt, übersetzt.

Warum sind die Frauen hergekommen, warum machen sie diesen Job? Lara stellte fest, dass sie mit Sex im Saunaclub mehr Geld verdienen konnte als beim Putzen. Isabella steckt das Geld „zu 99 Prozent“ in ihre Kinder, die bei ihrer Schwester in Rumänien leben. Ein halbes Jahr wohnt sie hier, ein halbes Jahr dort. Alissa, die sich ein bisschen mysteriös gibt, sagt, dass sie auf ein Auto oder ein Haus spart – „um in die Zukunft zu investieren“, wie sie sagt. Und Julia schafft an, damit ihr Mann in Rumänien ein Geschäft aufziehen kann.

„Die Frauen wollen schnell gutes Geld verdienen“, sagt Fricke. Um keinen Kunden zu verpassen, halten sie sich den ganzen Tag über in den Räumen auf, wobei sich das Geschäft im wesentlichen in der Nacht abspielt. Gegen die Langeweile gibt es Fernseher und eine Playstation. Manchmal spielen sie auch Karten, sagt Lara, während sich Isabella auf dem Sofa an sie schmiegt. Weil es sich für die Frauen nicht lohnt, über die Weihnachtstage nach Hause zu fahren, kocht ihnen Lara zu Heiligabend ihr Spezialgericht: Kaninchen im Backofen.

Fricke und seine Mieterinnen haben vor der Bundestagswahl den Aufruf „Rechte und Respekt für Sexarbeiterinnen“ mitunterzeichnet und mitbezahlt, weil sie gegen eine stärkere Regulierung des Gewerbes sind. Ein Ausriss des Aufrufs aus der taz hängt in Klarsichtfolie überm Tisch. Aus Frickes Sicht geht es bei der Diskussion um unterschiedliche Ansätze: Intervention statt Prävention, Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung. Eine stärkere Regulierung gehe an den Problemen der Frauen vorbei: Gerade die zugewanderten Frauen brauchten Hilfe, um sich gegen Stigmatisierung zu wappnen. Diese Frauen bräuchten „Know-how on the Job“, sie müssten ihre Rechte kennen und wissen, an welche Stellen sie sich wenden können, wenn sie Probleme haben.

In Frickes Etablissement gibt es deshalb nicht nur die einschlägigen Faltblätter der EU, sondern auch von ihm selbst zusammengestellte Info-Blätter auf Deutsch und Rumänisch. Für den Fall, dass sich ein Freier daneben benimmt, hat jede ein Falt-Visitenkärtchen mit dem Foto des Hauses, auf dem er zu einem respektvollen Umgang aufgefordert und über die Grundregeln des Angebots wird: kein Service unter 50 Euro, kein Verkehr ohne Kondom, „keine Wäschemodenschau für Laufkundschaft“.

Um den Befürwortern einer stärkeren Regulierung etwas entgegenzusetzen, hat Fricke das „Netzwerk-Ro-Informationen“ (Ne-Ro-In) gegründet, eine Materialsammlung, in der vor allem Informationen ins Rumänische übersetzt werden sollen. Auch andere Sexarbeiterinnen aus Rumänien könnten sich dort bedienen, so die Idee. Das Signal ist klar, es lautet: „Wir regulieren uns selbst.“

Auch Fricke weiß, dass Sexarbeit kein normaler Job ist. „Wenn sich jemand auf Sexarbeit einlässt, sollte er wissen, was auf ihn zukommt“, sagt er. Bei manchen Praktiken tue sich seine Frau schon schwer mit der Übersetzung. „Am besten wäre eine begleitende therapeutische Reflexion über die Entscheidung“, findet Fricke.

Seine Mieterinnen geben sich cool. Alice Schwarzers Aufruf habe sie gelesen, aber wieder vergessen, sagt Alissa. „Ich mache mit den Männern, was sie wollen und was ihnen gefällt.“ Ob ihr es zu denken gibt, dass vor allem Frauen diese Arbeit machen? „Männer wissen nicht, wie dieser Job geht“, sagt sie.