Grüne Chance

STUDIEN: Eine Energiewende wäre auch in Polen möglich, und sie würde die Wirtschaft beflügeln

BERLIN taz | Polen hat in der internationalen Ökoszene einen schlechten Ruf – trotz seiner erstaunlich guten Umweltbilanz. Seit Jahren zeigte sich Warschau als hartnäckigster Bremser der EU-Klimapolitik, während die polnischen Fabriken und Kraftwerke doch immer weniger schädliche Abgase in die Luft blasen. Seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaft verringerte sich die CO2-Emission laut UN-Klimabehörde gar um satte 30 Prozent. Nicht nur das: „Wir haben unsere Wirtschaftsleistung verdoppelt, aber der Energieverbrauch ist etwa gleich geblieben“, sagt Maciej Bukowski vom Institut für Strukturforschung in Warschau.

Dennoch stöhnten viele Umweltschützer: „Ausgerechnet Warschau!“, als der Tagungsort der 19. Klimakonferenz verkündet wurde. Dabei sind es weniger die faktischen Zwänge oder der Unwille der Bevölkerung, die für Polens Tunnelblick in der Energiepolitik verantwortlich sind, sondern es ist die Unbeweglichkeit der politischen Klasse, meinen Experten. Polen könnte aus einer aktiven Klimapolitik große ökonomische Vorteile ziehen. „Das Land ist gut durch die Krise gekommen und steht in Europa stark da“, sagt Maciej Bukowski. „Aber die Regierung hat Angst, an diesem Erfolgsmodell etwas zu verändern.“

Durchaus bezahlbar

Gemeinsam mit dem polnischen Institut für nachhaltige Entwicklung hat sein Wirtschaftsforschungsinstitut im Auftrag der Europäischen KlimaStiftung die Studie „Niedrig-Emissios-Polen 2050“ erstellt, die dem Land einen grünen Weg der Energieversorgung nahelegt – als Mittel der Modernisierung. Vorausgesetzt wären eine langsame Beendigung der Kohlesubventionen, Geld für Umweltbildung und Innovation, Energiesparen und mehr Wettbewerb auf dem Energiesektor. Dann könne Polen bis 2030 die von der EU geforderten Ziele erreichen: minus 30 Prozent der Klimagase, bis zu 30 Prozent Erneuerbare und viel mehr Energieeffizienz. Bewegung wird es in der Energiepolitik Polens auf jeden Fall geben: Zwei Drittel der Kraftwerke sind älter als 30 Jahre, viele müssen ersetzt werden.

Die Regierung will bis 2030 ein Dutzend großer Kohlekraftwerke errichten, die etwa 100 Millionen Tonnen CO2 ausspucken. Ähnlich wie in Deutschland beruht auch die polnische Energieversorgung zum großen Teil auf Kohle: Über 90 Prozent des Stroms kommen aus diesem Klimakiller. Etwa 6 Prozent stammen aus Erneuerbaren (Deutschland: 25 Prozent).

Mit einem ähnlichen Szenario für „Polens Übergang zu niedrigen Emissionen“ rechnet die Weltbank: Demnach ist Wirtschaftswachstum mit niedrigem Kohlenstoffausstoß durchaus bezahlbar, auch wenn zu Beginn große Investitionen lauern: „In den ersten Jahren bis zu 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ könnten die Mittel für gedämmte Häuser, effiziente Industrieprozesse und Windräder kosten. Bis 2030 wären das insgesamt etwa 17 Milliarden Euro – viel Geld für ein Land, dessen Pro-Kopf-Einkommen bei 16.500 Euro liegt und damit knapp halb so hoch ist wie in Deutschland. Doch bereits 2040 soll sich die Energiewende auszahlen und mit einem volkswirtschaftlichen Plus von 6 Milliarden zu Buche schlagen. Der Unterschied jedenfalls ist deutlich: Für 2030 rechnet die Weltbank bei einem grünen Kurs Polens mit nur noch 288 Millionen Tonnen Treibhausgas im Jahr – bei einem „Weiter so“ mit dem Doppelten.

Ähnlich sieht auch Greenpeace in einer Studie zur „Energie (R)Evolution Polen“ die Zukunft. „Polen muss nicht von Kohle abhängig bleiben“, heißt es. Die Kohle könne reduziert, Erneuerbare können aufgebaut werden. Neben den bisher agierenden staatlichen Energiekonzernen müssten Private und Genossenschaften Strom und Wärme erzeugen. Umfragen zeigen, dass etwa 80 Prozent der Bevölkerung für eine Förderung der Erneuerbaren eintreten. Die Erneuerbaren könnten 100.000 neue Jobs schaffen. Das ist in etwa die Zahl der polnischen Bergleute, die bei einer Energiewende am meisten zu verlieren hätten. Und deren Protestdemonstrationen die Regierung in Warschau fürchtet. BERNHARD PÖTTER