Sein schräges Beharrungsvermögen

KRITIK Felix Haslers Buch „Neuromythologie“ ist ultraklug. Es verstört die Richtigen. Eine Begegnung in Berlin

■ Geboren 1965 in Liechtenstein, gelernter Pharmakologe, lebt und arbeitet in Berlin als Associated Researcher an der Berlin School of Mind and Brain der Humboldt Universität Berlin.

VON JAN FEDDERSEN

Er sieht auf den ersten wie auf den zweiten Blick eher wie ein Hippie aus oder wie ein Caffe-latte-Nerd zeitgenössischer Prägung, der dauernd im szenigen „Oberstolz“ abhängt. Goldene Brille, ein leicht gelichteter Lockenschopf, etwas wirr gehalten. Was auffällt – ein Mann von Ende vierzig und bester Laune, von starker Vitalität bei größter Freundlichkeit. Wir sprechen über sein Buch „Neuromythologie“, das in der Wissenschaftscommunity der Neurobiologen für Furore sorgt, ja schlimmer noch, Nervosität stiftet.

Ohne hier auch im Entferntesten nur den Jargon dieser Szene der Gehirn-, Gedanken- und Gemütsforscher imitieren zu wollen, darf man sagen: Hasler, gebürtiger Liechtensteiner, hat die gründlichste und eisigste Kritik dieses in den jüngsten Dekaden hoch subventionierten Wissenschaftsspiels verfasst. Er sagt: Sogenannte bildgebende Verfahren, von denen behauptet wird, sie könnten Depressionen, Alkoholismus oder Süchtiges überhaupt erklären, taugen nichts. Nicht jedenfalls für das, was sie vorgeben zu erklären. Mit technisch-computeroid gewonnenen Bildern von Gehirntätigkeiten lasse sich Subjektives nicht lesen, nicht kenntlich machen. Was ein Mensch denkt und weshalb er gerade das tut, was er träumt – und nichts anderes –, sei unmöglich in schrillen Tomographien aus Gehirnregionen abzubilden.

Dieser Mann und sein Buch konnte und kann von den Szientisten seines Milieus nicht abgetan werden. Denn Hasler ist selbst einer von ihnen, nicht in erster Linie Literat oder Journalist. Promoviert wurde er an der Universität Bern mit Forschungen über die Psychopharmakologie halluzinogener Pilze – also über jene Stoffe, die uns auf Trips schicken, führten wir sie uns zu.

Nein, dieser Naturwissenschaftler war zu einem geeigneten Moment mutig genug, in seinen beruflichen Kontexten zu fragen: Stimmt das eigentlich, dass etwa Depression mit dem Fehlen von Serotonin zu tun hat? Gibt es darüber Studien, die seriöserweise diesen Namen verdienen? Oder ist das Milliardengeschäft der Pharmaindustrie mit Antidepressiva eines, das, wissenschaftlich gesehen, auf unsicherer Wissensbasis generiert wird? Hasler stand eines Tages auf, sagt er, und ließ verlauten: Das ist ja alles nicht erwiesen!

Es gibt KollegInnen, die nach Lektüre seines Buches zum „Neuro Bubble“, zum Hype um bildgebende Verfahren in der Psychiatrie etwa, sagen: Der Hasler, der sagt uns etwas, das so grundstürzend ist wie die Erkenntnis, dass die Erde um die Sonne kreist – nicht umgekehrt. Dieser Liechtensteiner räumt nun ein, sein Buch würde er inzwischen weniger beißend, deprimierend schreiben.

Ja, Umgänglichkeit auch im Streit um Paradigmatisches ist ihm eine Tugend. Gleichwohl hat er, gerade als Teil der Wissenschaftselite der Humboldt-Uni, schon ein neues Projekt beantragt bei der Volkswagenstiftung im Bereich Experimentelles. Thema: Kann Kunst dort genug Wissen generieren, wo die Wissenschaft nicht weiterkommt? Der Akzent liegt auf dem Wort: Wissen. Das ist schräg, mutig gefragt – und verspricht, ja erfindet Zukunft des Wissens. Man wünsche ihm und seinen KooperandInnen (Christian Keller, Wissenschaftshistoriker, und Magaly Tornay, Künstlerin) Gelingen.

Felix Hasler spricht auf dem taz.lab (10.30 Uhr) unter der Überschrift „Was würde die Fledermaus denken? Über die Deutungsmacht der Hirnforschung – eine Mixtur aus Größenwahn und Plapperseligkeit“ über seine Befunde.