Die Kohle regiert das Land

WIDERSTAND In der Lausitz will der Energiekonzern Vattenfall fünf neue Tagebaue aufschließen. Tausende Menschen müssen weichen, Urwälder werden zerstört, Tiere und Pflanzen getötet. Der Widerstand wächst

AUS ROHNE SEBASTIAN PUSCHNER

Paradies und Hölle liegen selten so nah beieinander wie in der Lausitz. Am Rande des kleinen Waldtümpels steht eine Trauerbuche, deren Äste sich zum Wasser biegen, Farne wuchern und Orchideen sprießen. Das Naturschutzgebiet Urwald Weißwasser ist ein Paradies, einst Jagdareal der Adligen, seit den 1960iger Jahren Naturschutzgebiet mit einer für Deutschland einmaligen Waldpopulation. Und nun bald: Braunkohletagebau.

Der Tümpel muss als nächstes weichen, schon jetzt ist er eingekesselt: Auf der einen Seite hat der Energiekonzern Vattenfall Schneisen durch den Wald geschlagen und Entwässerungsrohre verlegt, um für seine Kohleförderung alles trockenzulegen. Auf der anderen Seite stehen noch ein paar Baumreihen, dahinter ist alles gerodet. 300 Meter weiter verläuft die Kante des Tagebaus Nochten: Die Hölle, kilometerweite, braune Ödnis mit vereinzelten gelben Farbtupfern, Lastwagen und Baggern. Sie werden bald die Kohle unter dem Tümpel abbaggern, die Genehmigung ist längst erteilt, der Tagebau wird wachsen und bald jeden der 100 Hektar Urwald Weißwasser zerstört haben.

Einen ihrer Kämpfe hat Edith Penk, 75, dann verloren: Den Einsatz für den Urwald. Fünf Kilometer vom Tümpel entfernt sitzt sie am Küchentisch und spricht über den anderen Kampf, den um ihr Haus. Denn Vattenfall will den Tagebau Nochten erweitern und 300 Millionen Tonnen Braunkohle bis 2045 abbauen. Das Genehmigungsverfahren läuft. Penks Heimatdorf Rohne müsste ebenso weichen wie fünf andere Dörfer mit insgesamt 1.600 Menschen. „Ich sage immer, ich stelle mich vor die Bagger und halte sie auf“, sagt die ehemalige Erzieherin. „Aber ob ich das schaffe, hängt von der Gesundheit und den Helfern ab.“

Penk kämpft schon lange gegen die Kohleförderung und für die Zukunft ihrer sorbischen Heimat, für die Tier- und Pflanzenwelt. Sie spielt in einer Theatergruppe, doch die wird kaum mehr in Kindergärten und Schulen eingeladen. In den Stücken kommen Szenen vor, in denen etwa die Mutter Rotkäppchen sagt, es solle auf seinem Weg nicht in die Sümpfe geraten. Rotkäppchen antwortet: „Ach Mutter, Vattenfall hat doch längst alle Sümpfe trockengelegt!“ Das ist den Verantwortlichen zu heikel. Stattdessen gibt es in den Schulen Schachbretter mit Vattenfall-Logo.

Edith Penk hat dennoch Aufwind, denn mit dem Bekanntwerden der Vattenfall-Pläne zur Erweiterung haben sich einige dem Widerstand angeschlossen. Sie haben das Bündnis „Strukturwandel jetzt – kein Nochten II“ gegründet. Unter den Mitgliedern sind Nachbarn, Gemeinderäte und ein paar Endzwanziger, die in den vergangenen Jahren in die Lausitz gezogen sind. Alle zwei Monate machen sie eine Bündniszeitung, damit in den Briefkästen nicht mehr nur Vattenfall-Broschüren liegen. Und obwohl ihnen viele Gasthöfe und Gemeindehäuser aus Angst vor Scherereien keine Räume vermieten, haben die Aktivisten im April eine Vortragsreihe zur Energiewende in der Lausitz gestartet – jetzt eben auf der Touristen-Ranch eines Unternehmens, die abgebaggert werden soll. Nur für den Infokasten im Nachbarort, mit den Zeitungsseiten und Veranstaltungshinweisen, müssen sie einen neuen Platz suchen – das gehe zu weit, hat der Bürgermeister wissen lassen und verfügt, dass der Kasten abgebaut wird.

Die Kohle hat in der Lausitz nicht nur den Segen der kleinen, sondern auch der großen Politik in der schwarz-roten Landesregierung in Dresden. „Die CDU-Fraktion hat gerade auf unseren Protestbrief geantwortet“, sagt Edith Penks Sohn, als er mit einem Laptop in der Hand zur Küchentür hereintritt und dann vom Bildschirm vorliest: Braunkohle sei ein unverzichtbarer Teil der deutschen Energieversorgung und sichere in Sachsen und Brandenburg Tausende Arbeitsplätze. „Deren Wegfall würde gerade viele Lausitzer zur Aufgabe ihrer Heimat zwingen.“ Unterschrieben hat der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion. Edith Penk zuckt mit den Schultern, ihr Sohn sagt: „Vattenfall baut in Deutschland gerade 1.500 Stellen ab.“

Wenn die Penks aus ihrem Haus treten, können sie in der Ferne die Rauchfahnen von zwei der drei Lausitzer Braunkohlekraftwerke am Himmel sehen: Schwarze Pumpe und Boxberg. Außerdem gibt es das Kraftwerk Jänschwalde, von Greenpeace zum dreckigsten Kraftwerk Deutschlands gekürt. Braunkohle ist der Energieträger mit den meisten CO2-Emissionen.

Braunkohle besitzt mit 26 Prozent den höchsten Anteil am Strommix. Die Kohlekonzerne wollen, dass das so bleibt, und planen neue Kraftwerke und Tagebaue. Vattenfall will in Brandenburg und Sachsen nicht nur Nochten II, sondern auch Jänschwalde Nord,Welzow-Süd, Bagenz-Ost und Spremberg-Ost aufschließen.

In Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung heißt es, dass dies keinen Sinn mache, wenn die Regierung ihre Ziele für den Anteil erneuerbarer Energien und die Reduktion von CO2 ernst meine. Eine dieser Untersuchungen hat das Landesumweltministerium von Brandenburg in Auftrag gegeben. Doch am Pro-Kohle-Kurs der rot-roten Koalition in Brandenburg und von Schwarz-Rot in Sachsen ändert das nichts.

Die Unterstützung auf der Straße besorgt die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Als der Brandenburger Braunkohlenausschuss vor zwei Wochen in Cottbus über die Erweiterung des Tagebaus Welzow-Süd und die Umsiedlung von 800 Menschen beriet, mobilisierte die IG BCE 5.000 Menschen zu einer Demo in der Stadt. Motto: „Meine Stimme fürs Revier.“

Beim Protestspaziergang von Edith Penk und dem Strukturwandel-Bündnis waren sie 300 Menschen – eine Zahl, die alle Erwartungen übertraf. Am Dienstag hat Penk wieder vor dem Landratsamt in Bautzen demonstriert. Dort hat der Braunkohlenausschuss des Regionalen Planungsverbandes getagt. Penk und ihre Mitstreiter haben auch ein Motto: „Eine andere Zukunft für die Lausitz.“