Helden in Goldhöschen

„SKOPJE 2014“ Historien-Kitsch und Korruption: Mit einem gigantomanischen Bauprojekt zementiert der zunehmend autoritäre Premier Nikola Gruevski seine Macht

■ Rücksichtsvoll: Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 liegt Mazedonien im Konflikt mit Griechenland. Das befürchtet Gebietsansprüche Mazedoniens auf die nordgriechische Region Makedonien. Die Republik Mazedonien wird aus Rücksicht auf Griechenland deshalb meist als The former Yugoslav Republic of Macedonia bezeichnet. Unter diesem provisorischen Namen wurde sie auch von der UNO anerkannt.

■ Arm: Mazedonien hat eine der schwächsten Volkswirtschaften Europas, sein Pro-Kopf-Einkommen liegt deutlich hinter Ländern wie Peru oder Angola.

■ Multikulti: Das Land ist ethnisch sehr heterogen, neben der größten Volksgruppe der Slawomazedonier gibt es eine große Minderheit an Albanern, Türken, Roma, Serben und Bosniaken. (cja)

AUS SKOPJE SONJA VOGEL

Den Weg ins Zentrum der mazedonischen Hauptstadt säumt ein Dutzend Statuen und Skulpturen, auf marmornen Sockeln, vergoldet oder aus Bronze. „Ich bin hier in Skopje aufgewachsen, aber wer das da ist, das weiß ich nicht“, sagt der Taxifahrer. Er zeigt auf ein hohes Denkmal, auf einem Pferd sitzt ein Krieger mit Schnauzbart, er zielt mit einer Pistole knapp über die vorbeifahrenden Autos. „Verrückt“, sagt der Fahrer und tippt sich an die Stirn. Wie viele seiner rund zwei Millionen Landsleute würde er Mazedonien am liebsten verlassen, sagt er, so wie viele aus seiner Familie. Das Durchschnittseinkommen liegt bei 350 Euro im Monat, Mazedonien ist das zweitärmste Land Europas.

Umso absurder ist da das gigantische Bauprojekt namens „Skopje 2014“, das der mächtige Premierminister Nikola Gruevski und seine konservative Regierungspartei VMRO-DPMNE (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit) in nur vier Jahren aus dem Boden gestampft haben: ein Skulpturenpark mit 35 Objekten – der römische Kaiser Justinian auf Marmorquadern, Protagonisten des Antifaschistischen Rats der Volksbefreiung Mazedoniens auf einem Bronzepodest, der Triumphbogen Makedonija oder der goldene Prometheus im Komplex der Gefallenen Helden, dem man nach Protesten nachträglich die Scham mit einem Höschen verhüllt hat. Ein wilder Ritt durch 2.500 Jahre europäischer Geschichte.

Alexander der 22 Meter Große

Daneben ganze Gebäudekomplexe im Neoklassizismus, die Vorbauten von antiken Säulen getragen: Das Museum des mazedonischen Kampfes für Souveränität und Unabhängigkeit. Das Museum der VMRO. Das Museum der Opfer des kommunistischen Regimes. Das Außenministerium, Hotels. Auf dem zentralen Stadtplatz steht das 22 Meter hohe Reiterdenkmal von Alexander dem Großen, der Sockel von Wasser umspült, beleuchtet in Rot und Grün. Von der anderen Seite des Flusses Vadar grüßt ihn sein Vater, Philipp II.

Als das mazedonische Kulturministerium 2009 das Werbevideo für „Skopje 2014“ veröffentlichte, glaubte niemand an eine Realisierung. In den vergangenen 50 Jahren hat es kein vergleichbares Bauprojekt auf dem Balkan gegeben. Das Kulturministerium nannte Baukosten von 207 Millionen Euro – das wären 2,68 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. KritikerInnen hingegen schätzen die Ausgaben auf mindestens eine halbe Milliarde. Allein das Mazedonische Museum soll 100 Millionen Euro gekostet haben.

Aber „Skopje 2014“ ist mehr als bloß die teuren Bauten. Mit dem Regierungsprojekt wird die Geschichte Mazedoniens neu geschrieben. Eine Geschichte, die weiter zurückreicht als die Gründung der Republik Mazedoniens innerhalb des föderalen Jugoslawiens 1946 und auch weiter zurück als die slawische Besiedlung im Mittelalter: Gruevski und die VMRO haben sich die Antikisierung Mazedoniens zur Aufgabe gemacht. Seit der Regierungsübernahme 2008 knüpft sie demonstrativ an die Tradition des antiken Reichs Makedonien an – des Reichs Alexander des Großen. Für die Partei und die staatsnahen Forschungsinstitute ist das die Wiege der mazedonischen Nation – eine Idee, die von vielen nicht geteilt wird. Exministerpräsident Ljubco Georgievski nannte „Skopje 2014“ eine „große Karikatur“ und „historischen Kitsch“.

„Skopje 2014“ basiert auf der Idee einer einheitlichen nationalen Kultur, Ethnie, Religion und Sprache – und zwar der der orthodoxen SlawomazedonierInnen

Auch die albanischen MazedonierInnen fühlen sich diskriminiert. Sie bilden rund ein Viertel der Bevölkerung, doch „Skopje 2014“ basiert auf der Idee einer einheitlichen nationalen Kultur, Ethnie, Religion und Sprache – und zwar der der orthodoxen SlawomazedonierInnen. Daran, dass ihre Geschichte die der neuen mazedonischen Nation sein soll, ändert auch das Denkmal für den albanischen Nationalhelden Gjergj Kastrioti, genannt Skanderbeg, nichts.

Vor diesem Hintergrund ist der Stadtumbau durchaus explosiv, schließlich stand das Land vor kaum 13 Jahren am Rande eines Bürgerkriegs. Nur mit internationaler Vermittlung konnte 2001 im Abkommen von Ohrid eine angemessene Repräsentation der albanischen MazedonierInnen in Politik und Verwaltung festgeschrieben werden.

„Der historische Diskurs der Regierung steht im Widerspruch zum Geschichtsbild der Bevölkerung“, sagt die Philosophieprofessorin Katerina Kolozova. „Alexander der Große ist in der Alltagskultur überhaupt nicht vorhanden.“ Für das Institute of Social Sciences and Humanities Skopje betreute Kolozova eine repräsentative Umfrage zur Wirkung der Denkmäler. Demnach lehnen zwei Drittel der Befragten „Skopje 2014“ ab – wegen der hohen Kosten, aber auch, weil die neuen Nationalhelden ihnen fremd sind. Für nur 5,8 Prozent ist die Antike prägend für die mazedonische Nation. Zum Vergleich: 20 Prozent halten die staatliche Unabhängigkeit seit 1991 für wesentlich.

So bleibt von jenem Rekurs auf die Antike vor allem ein verzweifelter Ruf in Richtung Westen: Schaut her, wir gehören auch zu Europa! Denn Mazedonien hat zwar seit 2005 den Status eines EU-Beitrittskandidaten, doch seither herrscht Stillstand. Nachbar Griechenland blockiert die euroatlantische Integration und verlangt die Änderung des Staatsnamens. Die Begründung: Mazedonien könnte Ansprüche auf die nordgriechische Provinz Makedonien stellen. Der Namensstreit ist beispiellos. Fünfmal hat die EU-Kommission die Empfehlung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ausgesprochen, und fünfmal verweigerte Griechenland seine Zustimmung – zuletzt schloss sich auch Bulgarien dem Veto an. Die Pattsituation nützt wohl vor allem den Konservativen.

Weit weg von der EU

■ Präsident: Am Sonntag entscheidet eine Stichwahl über den künftigen Präsidenten: Aus der ersten Wahlrunde am 14. April ging der amtierende Staatschef Gjorge Iwanow – Kandidat der konservativen VMRO-DPMNE (siehe Text) – als Sieger hervor. Weil er die Hälfte der abgegebenen Stimmen aber verfehlte, tritt er nun erneut gegen den sozialdemokratischen Oppositionskandidaten Stewo Pendarowsk an.

■ Parlament: Gleichzeitig finden vorgezogene Parlamentswahlen statt. Favorit ist die VMRO-DPMNE von Regierungschef Nikola Gruevski. Der seit 2008 amtierende Premierminister muss sich einer Reihe von Korruptionsvorwürfen erwehren – unter anderem soll er über 1,5 Millionen Euro Bestechungsgeld dafür erhalten haben, die Makedonska Banka an einen serbischen Geschäftsmann verkauft zu haben. (dpa, cja)

„Die Isolation hilft der Regierung, sie baut auf Frustration“, sagt Kolozovas Kollege, der Sozialwissenschaftler Artan Sadiku. Immer weiter hat sich der Premier Gruevski seit 2008 von der EU entfernt – und gleichzeitig auch von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Es gibt eine endlose Reihe von Korruptionsvorwürfen gegen ihn. Und schon nach den ersten Präsidentschaftswahlen vor zwei Wochen wurde über Unregelmäßigkeiten berichtet, über erkaufte Stimmen und nichtexistente WählerInnen.

Wie im Sozialismus ist der Staat der größte Arbeitgeber, und die VMRO hat die Zahl der Beamten noch einmal verdoppelt – wer seinen Posten behalten will, weiß, wo er sein Kreuz zu machen hat. Und wer es nicht weiß, bekommt es gesagt: Das Helsinki-Komitee berichtete von Listen, auf denen die Vorgesetzten in der Belegschaft Stimmen für die Regierung sammeln.

Die Opposition ist marginalisiert und ständiger Dämonisierung in den regierungstreuen Medien ausgesetzt. Die EU-Kommission beklagt regelmäßig, dass JournalistInnen eingeschüchtert, bedroht oder zu Haftstrafen verurteilt werden. Kritische Stimmen gibt es kaum mehr, seit vor drei Jahren der größte oppositionelle TV-Sender A1 geschlossen wurde – angeblich wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten. Einigen Tageszeitungen erging es ähnlich und unlängst wurden 15 Künstler und Antikorruptionsaktivisten, wegen angeblicher Spionage für Ungarn verhaftet. All dies tut Wirkung: Die Menschen auf der Straße sind vorsichtig geworden, über Politik will kaum mehr jemand sprechen. Auch „Skopje 2014“ ist tabu. „Die Menschen sehen, wie viel Geld an das Innenministerium und an die Polizei geht“, sagt der Sozialwissenschaftler Sadiku. Die Sicherheitsbehörden werden von einem Cousin Gruevskis geleitet. Dass die Menschen sich vor Repression fürchten, sei „nicht nur Paranoia“, sagt Sadiku.