Nazis müssen draußen bleiben

DEMO Tausende Demonstranten vertreiben Neonazis gut gelaunt und in Feierstimmung. Ohne Berlin-Kreuzberg betreten zu haben, müssen die Rechten wieder abziehen

AUS BERLIN SASKIA HÖDL, BARAN KORKMAZ
UND GEREON ASMUTH

12 Uhr mittags in Berlin-Kreuzberg: Die Sonne scheint, Reggae-Musik tönt aus den Boxen, ein paar Menschen tanzen. Viele sitzen verstreut auf der Straße herum. Ein loser Zusammenschluss von vor allem jungen Leuten – meist keine Antifa – Familien, ältere Menschen, türkische Kiezanwohner, die sich auf der Heinrich-Heine-Straße zur Sitzblockade zusammengefunden haben. Im Hintergrund spielen zwei junge Männer Volleyball.

Es herrscht Volksfeststimmung. Dem nahenden NPD-Aufmarsch zum Trotz sind die Menschen äußerst gelassen. Als wäre man nicht hier, um Nazis aus dem Kiez zu jagen, sondern zufällig mit rund 1.000 Menschen an einer Kreuzung zusammengekommen. Aber das macht die Gegendemonstration so souverän: Präsenz zu zeigen, seinen Körper in den Weg zu stellen – dazu bedarf es keiner Parolen.

Zeitgleich wenige Hundert Meter weiter nördlich. Als die rechten Demonstranten aus dem Bahnhof Jannowitzbrücke marschieren, hört es sich an, als wären sie viele. Aber der Schein trügt. Hundert Teilnehmer wurden angemeldet, gekommen sind achtzig, vielleicht neunzig. Man hat sie in einem Sonderzug vom Ostbahnhof anreisen lassen. Nachdem sie platzhirschartig klargemacht haben, dass sie da sind, sammeln sie sich auf der Brücke am Geländer. Einige Polizisten in voller Montur stehen um sie herum, Polizeiwagen auf der Fahrbahn. Am anderen Geländer warten Journalisten, Fotografen und Politiker von Grünen, Linken und Piraten.

Die meisten von ihnen haben schon Erfahrung mit solchen Aufmärschen. Die Fotografen gehen nah heran und erledigen ihren Job. Einige Journalisten halten aber einen Respektsabstand. Es ist eine seltsame Situation. Ein NPD-Demonstrant macht mit einem Teleobjektiv Fotos von den Presseleuten. Es heißt, dass er Daten von NPD-Gegnern samt Foto auflistet. Spätestens da ist klar, dass es ratsam ist, den Presseausweis nicht um den Hals zu tragen. Immerhin steht da die Privatadresse drauf.

Einige der Neonazis erfüllen das Klischee. Stiernacken, Glatze, Sonnenbrille und eindeutige T-Shirts. Aber es sind auch etwa 16-jährige Jungs in der Gruppe, die eher an Justin Bieber erinnern als an Baseballschläger schwingende Faschos. Fünf oder sechs Frauen, zwei Männer über 60. Ein junger Mann mit Jeans, rot-weiß kariertem Hemd und Raulederschuhen hält eine Deutschlandflagge hoch. Sie stehen mit versteinerter Miene auf der Brücke, Hass liegt in der Luft. Es hilft, ein paar Meter in die andere Richtung zu gehen und gar nicht erst zu versuchen, diese Situation zu begreifen.

Die inzwischen über 2.000 Gegendemonstranten, die die Zugänge nach Kreuzberg blockieren, warten geduldig bis gelangweilt. Sie drängeln sich am Ufer der Spree, um eine mögliche Ausweichroute der Nazis zu blockieren. „Ein bisschen Action wäre jetzt gut“, sagt eine junge Demonstrantin nach stundenlangem Warten in der Sonne. Man telefoniert mal eben mit Freunden, die an den anderen Blockadepunkten sitzen. „Da langweilen die sich auch“, gibt eine Frau durch. „Vielleicht ist das die neue Polizeistrategie“, vermutet einer, „die langweilen uns zu Tode.“

Die wichtigsten Fragen bei der Blockade lauten: Wo gibt es was zu essen? Und wo kann man hier pinkeln? Eine kleine Bäckerei zwei Straßen weiter macht das Geschäft ihres Lebens. Die Klos dort sind über Stunden blockiert.

Zwischen den Nazis und den Gegendemonstranten nördlich der Jannowitzbrücke steht die nächste Polizeisperre: Etwa 50 Polizisten, einige mit kläffenden Hunden, am Ende der Brücke beobachten die Gegendemonstranten durch ihre Visiere. Plötzliches Gerangel. Man sieht nicht genau, was passiert, ein paar Minuten später ist klar, dass Sebastian Schmidtke, Berlins NPD-Chef, angekommen ist. Aus dem Lautsprecherwagen, mit dem er durch die Menge fährt, besprüht ein Mitfahrer die Leute rundherum mit einem Feuerlöscher. Die Polizei durchsucht daraufhin den Wagen. Schmidtke hält eine kurze Rede, er sagt, er wolle den Flughafen BER in ein Asyllager umwandeln, und sieht es als Erfolg, in Kreuzberg zu sein. Am anderen Geländer fragt man sich laut, ob er weiß, dass er noch in Berlin-Mitte steht.

Aus den Lautsprechern dröhnt einschlägiger Rap, „Bi-Ba-Butzemann“ oder „Wer trägt die schwarze Fahne dort“, als die Rechten sich durch die Brückenstraße bewegen. Die Polizisten gehen rundherum und auf dem Bürgersteig, an der Wand entlang die Journalisten. Vor der Demo laufen ein paar Anwohner und schreien: „Nazis raus“. Schon nach wenigen Metern ist Schluss. Spätestens jetzt ist klar: Die Rechten sind eingekesselt. Es geht nicht vor und zurück, links ist eine Sackgasse, rechts ein Park. Dann knallt es genau da. Ein paar Hardcore-Antifas attackieren eine schwach besetzte Polizeikette, um auf die mögliche Ausweichroute der Nazis vorzudringen. Sie bringen einen Mannschaftswagen ins Schaukeln und zünden stark qualmende Böller. Schnell sind weitere Polizisten und hunderte Demonstranten herbeigeeilt. Rund 10 Minuten geht es ruppig hin und her, bis sich die Lage wieder beruhigt.

Um 15 Uhr dann wird die NPD-Demo für beendet erklärt. Gerade mal 200 Meter weit waren die Nazis gekommen. Also machen sie bald samt ihren Deutschlandflaggen und „Geld für die Oma“-Schildern kehrt, rollen ihre Fahnen ein und gehen Parolen rufend zum Bahnhofseingang.

Für kurze Zeit bricht Jubel unter den Gegendemonstranten aus, die Polizeimannschaftswagensperre Richtung Jannowitzbrücke wird durchbrochen, und ein Großteil der Masse bewegt sich, lacht, tanzt. In wenigen Minuten formt sich ein spontaner Demonstrationszug von mehreren tausend Menschen – und feiert den Triumph.