Zellbiologe über „Golden Rice“: „Reis ist billiger als Tabletten“

Mit Gentech-Saatgut lässt sich Vitamin-A-Mangel leichter beheben als mit Pillen, so „Golden Rice“-Miterfinder Beyer. Kritiker würden mit falschen Zahlen argumentieren.

Schön gold-gelb: Gentechnisch veränderter Reis (l.) aus Freiburg. Bild: dpa

taz: Herr Beyer, der Ex-Greenpeace-Funktionär Patrick Moore hat kürzlich in Berlin für den gentechnisch veränderten „Goldenen Reis“ geworben. Unsere Artikel dazu haben Protest von Lesern ausgelöst. Hauptargument: Der Reis liefere nicht genug Vitamin A, um Erblindung und Tod von Kindern in Entwicklungsländern zu verhindern. Ist Ihr Projekt sinnlos?

Peter Beyer: Das stimmt nicht. Der Goldene Reis enthält viel mehr Betacarotin als normaler Reis. Zu der Frage, wie viel Vitamin A der Körper daraus gewinnen kann, gibt es zwei Publikationen im American Journal of Clinical Nutrition. Sie weisen nach, dass dieses Betacarotin hochgradig bioverfügbar ist. Dort steht auch, dass man nur 50 Gramm trockenen Reis braucht, um etwa die Hälfte des Vitamin-A-Bedarfs zu decken. Da selbst Mangelernährte Vitamin A aus anderen Quellen beziehen, lässt sich so das Defizit weiter Bevölkerungsteile beheben.

Sogar eine Professorin hat der taz geschrieben: Für ein Mikrogramm Vitamin A benötige der Körper zwölf Mikrogramm Betacarotin. Deshalb müsste ein Erwachsener täglich vier bis sechs Kilogramm Goldenen Reis essen.

Diese Umwandlungsrate ein zu zwölf bezieht sich auf verschiedene Lebensmittel wie Spinat – aber nicht auf Reis. Diese Professorin sollte die in renommierten Fachzeitschriften erschienenen Publikationen lesen, bevor sie sich äußert.

Eine der Studien ist aber umstritten: Die Eltern der Kinder in dem Versuch sollen nicht deutlich genug darüber aufgeklärt worden sein, dass der Goldene Reis eine Gentechnik-Pflanze ist. Kann man so eine Publikation überhaupt noch zitieren?

Das ist nicht meine Studie. Aber es ist sehr fraglich, ob die Vorwürfe stimmen. Dazu läuft ein Rechtsstreit. Unabhängig davon: Alle Begutachtungen, die ich kenne, sagen: Wissenschaftlich ist die Studie vollständig stimmig.

Essen die Betroffenen denn genügend Fett, um aus dem Betacarotin Vitamin A zu gewinnen?

Selbst polierte Reiskörner sind keineswegs frei von Fett – das in ihnen vorhandene Betacarotin liegt in Fetten gelöst vor. Deshalb vermute ich, dass die Zielgruppen des Reises kein zusätzliches Fett essen müssen, um genügend Vitamin A zu absorbieren. Eine Studie mit fettfreien Reisproben wurde durchgeführt, ist aber noch nicht ausgewertet.

Problem: 250 Millionen Vorschulkinder brauchen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge mehr Vitamin A - vor allem in armen Ländern Südostasiens und Afrikas. Oft bekommen die Kinder nicht genügend Gemüse, das den Nährstoff liefert. Jährlich verlieren laut WHO 250.000 bis 500.000 dieser Kinder ihr Augenlicht. Die Hälfte sterben binnen zwölf Monaten danach.

Lösungen: Die Organisation empfiehlt Muttermilch für Säuglinge, Vitaminkapseln, Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitamin A sowie den Anbau von Gemüse und Obst im eigenen Garten.

„Goldener Reis“: Für ihn wurde Reis per Gentechnik so verändert, dass er mehr Betacarotin, eine Vorstufe des Vitamin A, enthält. Das Betacarotin verursacht die goldgelbe Farbe der Reiskörner.

„Superbanane“: Die Technische Universität Queensland (Australien) hat im Juni angekündigt, eine Gen-Banane für mehr Vitamin A an Versuchspersonen zu testen. Es handelt sich um eine Kochbanane, die ungefähr ab 2020 in Uganda angebaut werden soll.

Kritik: Hilfsorganisationen stellen den Nutzen dieser technisch veränderter Lebensmittel infrage. Sie seien keine Wunderwaffe, sagte Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Welthungerhilfe, am Dienstag. Es fehlten zudem Langzeituntersuchungen zu Ertrag und Wirksamkeit.

Übersteht das Betacarotin im Goldenen Reis überhaupt die Lagerung unter tropischen Temperaturen?

Sie werden Verluste haben. Aber die haben Sie auch in der Karotte oder im Mais. Die Lagerfähigkeit hängt von der Reissorte ab, in die die gentechnisch veränderten Eigenschaften rübergezüchtet wurden. Es gibt Sorten, bei denen ein halbes Jahr Lagerung kein Thema ist, und durch Züchtung soll die Lagerstabilität noch erhöht werden.

Reichen sechs Monate?

Ja, wir reden hier vor allem über Subsistenzfarmer, die ihre eigene Ernte essen. Die meisten ernten zweimal im Jahr und lagern den Reis nicht lange.

Warum in Gentechnik Zeit und Geld investieren, wo es doch erprobte Methoden wie Vitamintabletten gibt?

Sie können mit Kapseln zwei Megadosen im Jahr an reinem Vitamin A den Kindern zuführen, und dann sind Mangelkrankheiten weg. Organisationen wie Helen Keller International und staatliche Stellen, die so etwas durchführen, wissen aber, dass sie nie alle regelmäßig und Jahr für Jahr erreichen können. Das hat infrastrukturelle Gründe, besonders in ländlichen Gebieten.

Wie sieht es mit den Kosten aus?

Vitamin-A-Kapseln kosten nicht viel Geld, aber die Beträge für die Verteilungslogistik kommen hinzu. Das summiert sich, wenn man Millionen von Menschen betrachtet und auch bedenkt, dass die Kosten jährlich neu anfallen. Reispflanzen vermehren sich vor Ort, Pillen nicht. Sie müssen ihn nur einmal verteilen. Das haben Ökonomen mehrfach durchgerechnet: Der Goldene Reis ist die derzeit mit Abstand preiswerteste Intervention gegen Vitamin-A-Mangel, auch wenn man die Entwicklungskosten einbezieht.

Würde der Goldene Reis nicht dazu verleiten, sich weiter falsch zu ernähren – mit zu wenig Gemüse?

Ich glaube nicht, dass man einem Armen auf den Philippinen oder anderswo mit dem erhobenen Zeigefinger erklären muss: Du musst auch mal eine Tomate essen. Das weiß der selber. Es ist keinesfalls erstrebenswert, nur Reis zu essen. Die Leute essen einseitig Reis, weil sie arm sind und Reis billig ist.

Der 62 jährige ist Professor für Zellbiologie an der Universität Freiburg. Er hat zusammen mit seinem Kollegen Ingo Potrykus den gentechnisch veränderten „Golden Rice“ entwickelt.

Dann muss man eben dafür sorgen, dass diese Armen genug Gemüse bekommen.

Das haben wir schon diskutiert, als ich 16 Jahre alt war. Ich habe noch keinen Fortschritt in dieser Beziehung gesehen.

Wenn schon Reis, warum dann nicht auf den seit tausenden Jahren bewährten hellbraunen, unpolierten Reis setzen, der von Natur aus Karotin enthält?

Tatsächlich kann man auf den äußeren Schichten des Reiskorns mit den feinsten Methoden der Analytik Spuren von Karotinoiden nachweisen, die der Körper in Vitamin A umwandeln kann. Die Menge ist aber so gering, dass sie irrelevant ist. Das lässt sich in jeder Nährwerttabelle nachschlagen.

Würde der Goldene Reis die genetische Vielfalt reduzieren?

Nicht mehr als jede klassisch gezüchtete Sorte, die Vorteile gegenüber den bestehenden Sorten bietet. Haben Sie eine gute Sorte, setzt die sich durch, weil die Landwirte sie wollen und ihre alten Körner wegschmeißen.

Könnte der Goldene Reis nicht herkömmliche Sorten durch Auskreuzung kontaminieren?

Reissorten sind in extrem hohen Maße Selbstbestäuber. Es gibt praktisch keinen Flug von lebensfähigem Pollen. Deshalb ist das Auskreuzungsrisiko sehr gering.

Stimmt es, dass aussagekräftige Untersuchungen zum Gesundheitsrisiko des Goldenen Reises fehlen?

Es liegen unter anderem Studien zur akuten Giftigkeit an Ratten vor. Ergebnis: Es gibt keinerlei Anzeichen, dass der Reis die Gesundheit gefährdet. Es ist aber sicher, dass jedes Jahr Tausende Kinder infolge von Vitamin-A-Mangel sterben.

Könnte der Reis die Abhängigkeit der Bauern von Saatgutkonzernen steigern?

Nein, weil er ein Projekt des öffentlichen Sektors ist, das mit öffentlichen Mitteln gefördert wird und von öffentlichen nationalen und einem internationalen Reis-Institut entwickelt wird.

Aber auf dem Reis liegen doch auch Patente von Monsanto und Syngenta?

…und anderen. Die haben wir freibekommen. In allen Entwicklungsländern brauchen Bauern mit höchstens 10.000 US-Dollar Umsatz pro Jahr aus dem Reisanbau nichts zu zahlen für die Technologie.

Haben Sie für die Industrie gearbeitet?

Nie. Ich bin verbeamteter Hochschulprofessor. Syngenta hatte meiner Arbeitsgruppe mal zwei Jahre lang Drittmittel bezahlt für einen Doktoranden und Sachmittel, um den Betacarotingehalt des Goldenen Reises zu erhöhen. Aber das war schon 2004 vorbei.

Ist es korrekt, dass der Ertrag des Goldenen Reises niedriger als der herkömmlicher Sorten ist?

Ja. Derzeit reicht der Ertrag im Feld nicht ganz an unsere Zielvorgaben heran. Das kann züchterisch behoben werden. Daran arbeiten wir gerade.

Also liegt es gar nicht am Protest, dass der Reis noch nicht zugelassen ist?

Der Protest hat uns bisher nicht beträchtlich viel Zeit gekostet. Dieses Thema wird aber umso relevanter, je näher wir einer Zulassung kommen. Das Projekt wird vor allem verzögert durch die komplexen Regularien, die die Politik als Folge der großen Unsicherheit in der Bevölkerung erlassen hat. An dieser Situation tragen Aktivisten große Verantwortung.

Stehen Sie eigentlich hinter Exaktivist Moores Vorwurf, der Widerstand von Greenpeace gegen den Goldenen Reis sei mitverantwortlich für den Tod von Millionen Kindern?

Nein. Das sind Aussagen anderer. Wenn Greenpeace aber so weitermacht wie bisher, könnte es so werden.

Könnte Ihr Reis denn nicht den Dammbruch für die Gentech-Pflanzen bringen, die überhaupt keinen gesundheitlichen Nutzen haben, sondern nur umweltschädliche Monokultur-Landwirtschaft erleichtern?

In Europa beispielsweise passiert da gar nichts. Der Widerstand in der Politik und der Bevölkerung ist so groß, das würde sich auch nicht ändern, wenn in Asien der Goldene Reis angebaut würde.

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