Erster Tabubruch bereits nach drei Tagen

KRITIK Die neue EU-Außenvertreterin Federica Mogherini zweifelt an den EU-Sanktionen gegen Russland – und bereitet neue vor

An ihrem dritten Arbeitstag wich sie vom politisch korrekten Sprechzettel ab

BRÜSSEL taz | Am Sonntag war die Welt noch in Ordnung. An ihrem zweiten Arbeitstag als neue EU-Außenvertreterin verurteilte Federica Mogherini die umstrittenen Wahlen in den Separatistenhochburgen der Ostukraine. Die Abstimmung sei „illegal“ und ein „weiteres Hindernis auf dem Weg zu Frieden“, stellte sie fest.

Damit lag sie voll auf der offiziellen EU-Linie, wie sie auch ihre Amtsvorgängerin Catherine Ashton vertreten hatte. Mogherini, so schien es, hatte den ersten Test in „Brüsseler Diplomatensprech“ bestanden. Doch schon 24 Stunden später, am dritten Arbeitstag, wich sie vom politisch korrekten Sprechzettel ab.

Zu den von der EU und den USA verhängten Sanktionen gegen Russland befragt, wiegelte Mogherini zunächst ab: „Tatsache ist, dass sie von der russischen Führung und deren Umfeld gespürt werden.“ Doch dann sprach sie, die lange als außenpolitische „Taube“ galt, einen wunden Punkt an: „Die offene Frage ist immer noch, ob Moskau seine Politik deshalb ändern wird.“

Seitdem ist die Aufregung groß. „EU-Außenchefin zweifelt an Sanktionen“, titelte die Süddeutsche Zeitung. Zwar hatte Mogherini sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, die Strafmaßnahmen gegen russische Banken und Ölfirmen aufrechtzuerhalten. Doch so offen wie sie hat bisher noch niemand die Wirksamkeit in Frage gestellt.

Mogherini hat ein Tabu gebrochen, dabei sollte es eigentlich keines sein. Schließlich hatte die EU von Anfang an betont, dass die Sanktionen „gezielt“ und „umkehrbar“ seien und einzig darauf hinwirken sollten, dass Russlands Staatspräsident Putin seine Ukraine-Politik ändert.

Auch eine Folgenabschätzung haben die EU-Außenpolitiker beschlossen. Doch was, wenn die Sanktionen nun zwar die russische (und europäische) Wirtschaft treffen, ihr eigentliches Ziel Putin aber verfehlen? Wäre es dann nicht an der Zeit, sie zu überdenken? Diese Diskussion ist überfällig, doch in Brüssel möchte sie niemand führen. Sowohl im Ministerrat als auch auch im Europaparlament stießen Mogherinis Worte auf Schweigen. Verwunderung herrscht auch im Brüsseler Nato-Hauptquartier, wo Mogherini am Dienstag zu einem Antrittsbesuch erwartet wurde. Die Militärs denken nämlich ganz anders: Sie wollen mehr Truppen nach Osteuropa schicken, um Putin in die Schranken zu weisen.

Bleibt die Frage, wie Mogherinis Chef, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, die neue Sanktionsdebatte sieht. Bei der Vorstellung seines neuen Teams hatte er vor großen „geopolitischen Herausforderungen“ gewarnt – womit vor allem Russland und die Ukraine gemeint waren. Nun schweigt er.

Klar ist nur eins: Die EU-Kommission will bald über weitere Sanktionen beraten – unter Mogherinis Ägide. Am außenpolitischen Kurs dürfte sich also nichts ändern, trotz des Tabubruchs. ERIC BONSE