Kooperation von Staat und Privat: Gabriels Profitexperten

Sigmar Gabriel will Banken und Versicherungen hohe Profite verschaffen. Dafür soll Deutschlands Infrastruktur privatisiert werden.

Das gefällt Politikern: teure und privat betriebene Autobahnen einweihen, um Wähler zu entzücken. Bild: dpa

Sigmar Gabriel ist nicht für seinen Großmut bekannt. Ungewohnt klang daher die Offerte des Wirtschaftsministers und SPD-Vorsitzenden, als er sagte, er wolle den „Lebensversicherungskonzernen attraktive Angebote machen, sich an der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur zu beteiligen“. Nur zwei Wochen später – Ende August 2014 – stellte er eine Expertenkommission zur „Stärkung von Investitionen“ vor, in der nun auch die Vorstände der Ergo-Versicherung und der Allianz SE sitzen.

Sigmar Gabriel möchte private Investoren für die Infrastruktur in Deutschland gewinnen. Auf die Versicherungen schielt er, weil die Konzerne rund 1,4 Billionen Euro horten und die Zinsen so niedrig sind, dass sie nach Anlageobjekten gieren. Auf der anderen Seite können sich Bund, Länder und Kommunen kaum noch Straßen, Tunnel oder Schwimmbäder leisten. Zu viel Geld hier und zu wenig dort: Die Schuldenbremse, also das Verbot von Einnahmen aus Krediten, wirkt wie ein Katalysator für Privatisierungen.

Dabei sind die Kooperationen von Staat und Privatwirtschaft – Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) – verrufen. Denn die Steuerzahler müssen für die Gewinne, die Banken und Versicherungen bei diesen Partnerschaften erwarten, teuer bezahlen. Das kritisiert auch der Bundesrechnungshof seit Jahren. Stets bewerteten die Prüfer die ÖPP-Projekte ähnlich: viel teurer, als wenn der Staat das in Eigenregie machen würde.

Besonders der jüngste Bericht ärgert jene, die mit dem Staat Geschäfte machen wollen: 1,9 Milliarden Euro teurer sind die Bundesfernstraßen, die in einer „Partnerschaft“ mit privaten Konsortien gebaut und betrieben werden. „Der Bundesrechnungshof ist der Auffassung, dass die bisherigen ÖPP-Projekte unwirtschaftlich sind.“

Veränderte Rahmenbedingungen

Will Gabriels Kommission trotzdem ein Modell entwickeln, um mit den Geldern aller Steuerzahler die Renditeerwartungen der Banken und Versicherungen zu erfüllen? Nein, sagte er selbst bei seiner Haushaltsrede im September 2014. Es gehe ihm „nicht um die Neuauflage von ÖPP-Projekten, sondern um veränderte Rahmenbedingungen für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur“.

Doch stimmt das? Wohl nicht. Selbst der ehemalige Finanzminister Hans Eichel geht davon aus, dass Gabriels Expertenkommission eine Art ÖPP konzipieren wird. Das Wirtschaftsministerium reagiert ungewöhnlich. Auf mehrfache taz-Nachfrage ist eine Pressesprecherin nicht einmal mehr bereit, sich namentlich zitieren zu lassen. „Sie können mich gerne als „BMWi teilt mit“ oder als „Sprecherin des BMWi“ zitieren – ein Interview dazu wird es aber nicht geben!“, schreibt daraufhin Alemany Sanchez de León, Leiterin der Pressestelle.

Seit etwa 20 Jahren betreibt ein Interessenskartell von ÖPP-Lobbyisten die Teilprivatisierung in Deutschland. Es handelt sich dabei um einen überschaubaren Kreis von Politikern, Wissenschaftlern, von Vertretern von Banken, Unternehmensberatern, Kanzleien und Baukonzernen. Der Mittelstand wird durch die komplexen Ausschreibungen in der Regel ferngehalten.

Keine neuen Schulden

Vermeintliche Volksvertreter freuen sich über die mit den Geldern der Allgemeinheit erkaufte finanzielle Freiheit: Sie können – teure und privat betriebene – Autobahnen einweihen, um Wähler zu entzücken. Das Schöne aus Sicht dieser Politik besteht darin, dass niemand auf die Schuldenbremse Rücksicht nehmen muss. Das ist das politische Anreizmodell.

Denn die anfallenden Kosten dieser Privatisierung werden über einen Zeitraum von meist 30 Jahren gestreckt. „Die öffentliche Hand muss diese Zahlungsverpflichtung nicht als Verschuldung buchen“, sagt Carl Waßmuth, ÖPP-Sachverständiger und Mitbegründer des privatisierungskritischen Netzwerks Gemeingut in BürgerInnenhand. Dabei müssten ÖPP ebenfalls als Schulden bewertet werden.

Bezahlt werden diese überteuerten Deals, von denen nur wenige profitieren, von der Allgemeinheit. Die jedoch darf nicht einmal die Verträge lesen, die sie auszubaden hat. Denn die oft Zehntausende Seiten starken Verträge – ein prima Geschäft für internationale Kanzleien – unterliegen der Geheimhaltung. Die taz deckte beispielsweise bei der Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe auf, dass in den geheimen Verträgen eine Gewinngarantie fixiert worden war – juristisch wasserdicht.

Und wer muss bezahlen?

Risiken gehen die wettbewerbsscheuen Privatisierungsbefürworter nicht gerne ein. Manche ÖPP-Konsortien gründen Gesellschaften, die lediglich mit Minieigenkapital von rund 35.000 Euro haften. Der Gegenwert einer Konzession bei Autobahnabschnitten erreicht die Milliardengrenze. Wenn etwas schiefgeht, müssen die Bürgerinnen und Bürger einspringen, wenn nicht, sprudeln die Gewinne aus den Portemonnaies der Steuerzahler so kontinuierlich, dass ÖPP-Verträge an Banken weiterverkauft werden. Die basteln daraus Infrastrukturfonds. Hier wiederum erwarten die Anleger wieder Dividenden. Und wer muss die bezahlen? Richtig: Die Bürger.

Doch so einfach haben es die ÖPP-Profiteure mittlerweile nicht mehr. Vor allem dank Organisationen wie Gemeingut in BürgerInnenhand klingt ÖPP nicht mehr nach ökonomischer Vernunft, sondern nach Bereicherung. Vielleicht betont Gabriel deswegen so seine Distanz zu ÖPP. Doch um ein ÖPP-Konstrukt mit neuem Anstrich wird es wohl gehen.

Der taz liegt ein Protokoll einer Sitzung dieser Expertenkommission vor. „Nur für den internen Gebrauch“ steht auf der ersten Seite. Im Protokoll vom 17. Oktober 2014 heißt es unter anderem: „ÖPP könne nach Ansicht einiger Mitglieder grundsätzlich genutzt werden, um künftige Finanzierungsengpässe abzumildern. Andere stellten heraus, dass die Ursachen für das Imageproblem und die rückläufige Entwicklung von ÖPP näher ergründet werden müssten.“

70 Prozent privat finanziert

Der Vorsitzende der Kommission, Marcel Fratzscher, antwortet auf taz-Anfrage, ob er erfolgreiche ÖPP-Projekte nennen könnte: „In der Mehrzahl der 20 größten Volkswirtschaften der Welt wird im Durchschnitt 70 Prozent der öffentlichen Infrastruktur privat produziert und finanziert.“ Es dürfe „kein Tabu geben, auch nicht über eine private Bereitstellung oder Finanzierung“. Inhaltlich möchte Fratzscher nicht präzisieren, woran die Expertenkommission arbeitet.

Sigmar Gabriel will nicht Stellung beziehen und der taz auch kein Interview geben. Hochrangigen „Partnern“ der Wirtschaft hingegen fühlen sich seine Spitzenkräfte offenbar näher.

Anfang Dezember, Allianz Forum am Pariser Platz – Berlins beste Adresse. Zwei Herren im Anzug stehen auf dem Balkon und blinzeln in die Sonne. Sie blicken auf das Brandenburger Tor; von oben sehen die Menschen klein aus. Und im Konferenzraum nebenan denken sie über Großes nach. Ein Infrastruktur-Workshop mit Maximilian Zimmerer, dem Finanzvorstand der Allianz.

„Berührungsängste zwischen Privaten und Staat“

Auch ein Staatssekretär des Finanzministeriums und Jeromin Zettelmeyer sind gekommen: Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik im Bundeswirtschaftsministerium. Bevor er Denker für Gabriels Kommission wurde, war er jahrelang Ökonom beim IWF.

„Wie kann Privatfinanzierung helfen, die Infrastrukturlücke zu schließen?“ heißt das Panel, bei dem der Allianzvorstand spricht. Schwierig sei das Thema, Zimmerer klagt über „Berührungsängste zwischen Privaten und Staat“. Er betont jedoch, die Allianz sei nicht für alles zu haben: Projektvolumina unter 100 Millionen Euro lohnten nicht, weil die ÖPP-Verträge so komplex seien. „Der Aufwand der Prüfung ist sehr groß“, sagt er. ÖPP: ein Produkt nur für Konzerne.

Zimmerer umreißt, wie viel die Allianz bereit wäre zu investieren, er nennt einen einstelligen Milliardenbetrag. Das klinge nach viel, sei aber im Vergleich zu den Mitteln des Konzerns nicht sehr bedeutend. Auf die Kooperation mit dem Staat „sind wir nicht angewiesen, es ist nur ein Angebot“. Der Staat muss wohl etwas bieten. Er zeigt eine Präsentation und listet die Risiken auf, die der Staat bei einer Kooperation übernehmen müsse: Bauverzögerungen und Volumenrisiken stehen da. Zudem müssten die Eigenkapitalvorschriften für die Versicherungen gelockert werden. „Da muss man irgendwann mal ran“, sagt er.

Das Thema hat höchste Priorität

Danach tritt Werner Gatzer auf, der seit über zehn Jahren im Bundesfinanzministerium für ÖPP lobbyiert. Als Staatssekretär. Das Thema Infrastruktur genieße „höchste Priorität“. Allerdings sollten auch die Privaten künftig mehr Risiken übernehmen als früher, sagt Gatzer und klingt kurz kleinlaut. Allianz-Vorstand Zimmerer betont: „Ich brauche für meine Kunden eine Rendite, Leute, das ist doch klar.“

Dann spricht Gabriels Abteilungsleiter Zettelmeyer. Er leitet seinen Vortrag mit der ÖPP Deutschland AG ein.

Das ist eine Aktiengesellschaft, die die Aufgabe hat, die öffentliche Hand zu beraten, ob bei anstehenden Projekten ÖPP infrage kommt. Die Gesellschaft tritt auf, als würde sie objektiv „beraten“. Denn 57 Prozent der Gesellschaft gehören dem Staat. Das soll für Glaubwürdigkeit bürgen. Zu 43 Prozent sind die Firmen beteiligt, die von ÖPP profitieren.

ÖPP im Glanz staatlicher Unabhängigkeit

Die taz hatte enthüllt, wie die ÖPP Deutschland AG von Top-Managern der Deutschen Bank AG, Beratern von McKinsey und der britischen Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer erfunden worden war. Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) setzte deren Pläne um. Später geriet er für extreme Honorare in die Presse. Unter anderem kassierte er im Jahr 2011 15.000 Euro für einen Vortrag bei Freshfields. Der Vorteil der ÖPP Deutschland AG bestehe darin, schrieb damals der Banker Klaus Droste in einem internen Memo, dass sie im Glanz staatlicher Unabhängigkeit erscheine.

Doch an die Objektivität der Beratungsfirma glauben viele Kommunen nicht mehr. Das drückt auch Zettelmeyer bei seinem Vortrag aus. Das jetzige Vorhaben könne nicht funktionieren, wenn es als „Lobbyorganisation wahrgenommen wird“. Er regt daher die Gründung einer Institution „mit Neutralität“ an. Nötig sei der „richtige Stallgeruch“. Schon bei der Entwicklung der ÖPP Deutschland AG forderte einer der Spindoktoren in einem internen Protokoll, dass es wichtig sei, dass die Firma „das ,Gesicht des Bundes‘ trägt“. Nun also: „Stallgeruch“.

Im vertraulichen Protokoll von Gabriels Expertenkommission umreißt Zettelmeyer seine Vorstellungen. „Ziel sei die Schaffung eines Organisationsrahmens für privat finanzierte Infrastrukturinvestitionen, der sich deutlich von herkömmlichen ÖPP-Modellen unterscheide“. Dieser Rahmen könne „von einer Investitionsbank oder einem Investitionsfonds als öffentlicher Intermediär“ zwischen Staat und Privatwirtschaft geschaffen werden.

Ver.di und DGB vertreten

Das Protokoll verdeutlicht auch, was der anwesenden Allianz-Vorständlerin Helga Jung wichtig war: „regulierte Versorgungsbereiche sowie langlaufende Konzessionen“. Auch Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen sehnt sich nach dem Staat. „Wichtig sei auch die Konstanz des staatlichen Regulierungsrahmens (insb. Fitschen)“, heißt es im internen Protokoll. Klingt nicht nach freiem Wettbewerb.

Und die Gewerkschaften? Seit der zweiten Sitzung sind auch ver.di und der DGB vertreten. Dessen Chef, Reiner Hoffmann, sagte der taz: „Die Renditeforderungen mancher Versicherungen von sieben bis acht Prozent sind inakzeptabel.“ ÖPP sei als „Alternative kostenmäßig abenteuerlich“. Grundsätzlich jedoch will selbst der DGB künftige ÖPP-Projekte nicht ablehnen. Frank Werneke, stellvertretender Vorsitzender von ver.di, sagte der taz, die „Bilanz von ÖPP-Projekten ist in der Tat verheerend“. Er sehe keine „Grundlage für eine Renaissance von ÖPP-Projekten“.

Gewerkschaften seien naiv

Der Privatisierungsexperte Carl Waßmuth wirft den Gewerkschaften Naivität vor. Sie dienten Gabriels Kommission als Feigenblatt. Ähnlich sei es bei der Hartz-Kommission abgelaufen. „Auch da waren sie von Anfang an dabei. Hinterher protestieren ist in solchen Fällen um ein Vielfaches schwieriger – und wenig aussichtsreich.“

Im Allianz-Forum tritt nun ein Mann auf, der als „der führende Denker zu ÖPP“ angekündigt wird. Mehrfach spricht Professor Hans Wilhelm Alfen dem Bundesrechnungshof die Kompetenz ab. Sein Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre im Bauwesen in Weimar lässt ihn als unabhängig erscheinen.

Alfen gilt als Miterfinder der ÖPP-Modelle bei Autobahnen. Vor seiner wissenschaftlichen Karriere arbeitete er für den Baukonzern Hochtief. Geld verdient er heute mit der Alfen Consult. Bei der Autobahn A 8 hatte seine Firma laut Spiegel den Zuschlag für die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung erhalten. Alfen mag ÖPP. Nun projiziert er die Stationen der Entwicklung von ÖPP in Deutschland an die Wand. Als Schlusspunkt steht dort: Gabriels Expertenkommission.

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