Umgang mit Tieren: Rinder in Rente

Jan Gerdes und Karin Mück haben ihren Bauernhof zu einem Altersheim für Tiere umgebaut. 34 Kühe verbringen auf Hof Butenland ihre letzten Jahre.

Sicher vor dem Schlachter: Kuh auf Hof Butenland. Bild: gabriela keller

BUTJADINGEN taz | Sie sind schon alt, sonst wären sie jetzt nicht hier. Sie haben ihre Leistung erbracht, und als ihre Kraft nachließ, da sollten sie weg, Klara, Käthe und all die anderen. Da draußen gab es kein Leben mehr für sie. Dieser Ort aber ist anders. Hier können sie bleiben.

Sie sind viele – braune, schwarzbunte. 34 Kühe stehen in dem Gehege seitlich des Hofes. Im Sommer können sie frei über die 40 Hektar laufen, die zum Hof Butenland auf der Halbinsel Butjadingen gehören, von ihrem Stall bis herunter an den Deich.

Aber jetzt perlt Regen über ihr Fell und der Wind schiebt grafitgraue Wolken über die Herde. Ringsum breitet sich flaches Land aus, feuchtbraune Erde, Wiesen, hier und da Bäume, Bauernland im Norden von Niedersachsen, das mit 820.000 Kühen nach Bayern das wichtigste Milchland in Deutschland ist.

Der Hof sieht aus, wie Bauernhöfe in Kinderbüchern aussehen, gemauert aus rotem Backstein, mit grün lackierten Holztüren. „Kuhaltersheim“ steht auf dem Schild an der Fassade.

Neugierige Tiere

Aus der Haustür kommt eine zierliche Frau, 58 Jahre alt, die ihre blonden Haare unter eine Wollmütze gesteckt hat. Karin Mück steuert auf das Gehege zu; die Mastkuh Chaya reckt ihr die Nase entgegen, schmiegt ihren wuchtigen Kopf an die Schulter der Frau. Sie lächelt, ein feines Netz aus Fältchen prägt sich in ihr Gesicht. „Kühe“, sagt sie, „sind so unglaublich neugierig.“

Nicht nur Kühe leben auf dem Hof, sondern auch fünf Schweine, vier Pferde, sechs Katzen, drei Hunde, elf Kaninchen, 20 Enten, 40 Hühner, sechs Gänse. Sie stammen aus Agrarbetrieben, Mastanlagen und haben ihr Leiden von dort mitgebracht, kaputte Gelenke, Krankheiten, Körper, die nie für ein langes Leben gedacht waren. „Viele denken, das ist hier eine heile Welt. Aber es ist wie in einem Altersheim für Menschen“, sagt Mück. „Es kommen immer wieder Entscheidungen, Zweifel und Situationen, wo wir an Grenzen stoßen.“

Karin Mück hat viel mit der Pflege erkrankter Tiere zu tun. Der Tierarzt muss ständig kommen, um malade Kühe und Schweine zu behandeln.

Verdiente Altersruhe

Am Zaun taucht Jan Gerdes auf, ein schlanker, hochgewachsener Mann, 59 Jahre alt. Gerdes ist auf dem Hof geboren; zusammen mit Mück hat er den Milchbetrieb seines Vaters vor rund zehn Jahren in einen Gnadenhof umgewandelt. „Gnadenhof sagen wir nicht“, sagt er, „Gnade bedeutet unverdiente Milde.“

Mück und Gerdes sind etwas unruhig. Sie wissen, dass in der Nachbarschaft eine Treibjagd ansteht. Bisher mussten sie die Jagd auf ihrem Land zulassen. Nun aber gibt es ein neues EU-Gesetz, wonach es möglich ist, aus ethischen Gründen ein Verbot zu erwirken. Gerdes hat den Antrag gestellt. Aber die Behörden haben noch nicht entschieden. „Die Jäger hatten zugesagt, unser Land nicht mehr zu betreten“, sagt er, „nun werden wir sehen, ob sie sich dran halten.“

Dann dreht er sich um und verschwindet im Dunst über den Wiesen. Gerdes ist ein scheuer Typ, der nicht gern große Worte macht. Karin Mück kann stundenlang über die Tiere erzählen.

Da ist zum Beispiel Alma, die als einzige von 180 Kühen auf einem Hof überlebte, der von Botulismus befallen war, einer bakteriellen Vergiftung. Oder Samuel, der wurde in einer Garage neben einer Pizzeria gefunden. Die Inhaber wollten sein Fleisch den Gästen servieren. Kühe könnten bis zu 30 Jahre alt werden, sagt sie, „aber das wird keine mehr“. Die älteste Kuh hier ist derzeit Mathilde, mit 17 Jahren.

Ahnengalerie mit Huhn

Aber es geht Mück und Gerdes nicht nur darum, einzelne Tiere zu retten. Sie sehen sich auch als Wegbereiter einer neuen Weltordnung, oder, wie sie es sagen, „einer neuen Kuhltur“. Sie verstehen ihre Arbeit als Kritik an einer Agrarindustrie, wo die Kühe jedes Jahr ein Kalb gebären müssen, damit sie nie aufhören, Milch zu geben. Nach der Geburt werden Mutter- und Jungtier sofort getrennt. Mit etwa fünf Jahren sind sie so ausgezehrt, dass sie sich nicht mehr rentieren. Dann werden sie geschlachtet.

Auf Hof Butenland haben Mück und Gerdes eine kleine Idylle geschaffen, in dem die Gesetze von Kosten und Ertrag nicht gelten. Doch immer wieder müssen sie Abschied nehmen. Auf ihrer Website ist eine Galerie eingerichtet, mit den Tieren, die hier gestorben sind. Das Huhn Luna, das ging an seinem eigenen Gewicht zugrunde, weil Masthennen darauf hingezüchtet sind, so schnell zu wachsen, dass ihre Knochen es nicht verkraften. „Sie liebte Musik“, steht unter dem Bild, „sie unterhielt uns mit ihrem gackernden Gesang, ihrer Fröhlichkeit.“

Das klingt natürlich alles etwas überspannt. Aber zugleich artikulieren Mück und Gerdes drängende, aktuelle Fragen. Ist es richtig, Tiere zu reinen Nutzfaktoren zu machen, nur damit die Kühltheken bei Aldi und Lidl immer voll sind? Wie musste ein Huhn leben, wenn sein Fleisch für zwei Euro pro Kilo angeboten werden kann? „Früher wurde unser ,Kuscheltierschutz‘ oft belächelt“, sagt Mück; inzwischen aber kriegt der Hof viel Zuspruch. Rund 1.000 Leute haben Tierpatenschaften übernommen. Mück und Gerdes leben schon lange vegan, sie haben verfolgt, wie aus einem Nischenthema eine Bewegung wurde, die sich nun zunehmend etabliert.

Streit mit den Jägern

Nur mit den Bauern ringsum gibt es Spannungen. „Wenn einen jemand aus den eigenen Reihen kritisiert – das ist schwer. Jan gilt als Kollegen-Anscheißer.“

Der nasse Morgen geht in einen trüben Mittag über, als die niedersächsische Realität in ihre Utopie einbricht: Eine Gruppe Jäger, Gewehre in der Hand, streift durch die Wiesen. Gerdes steht am Fenster. „Da sind sie“, sagt er, dann eilt er nach draußen.

Mück sagt, sie will nicht auftreten wie ein rechthaberischer Gutmensch. „Uns ist wichtig, mit denen im Gespräch zu bleiben. Wir wollen doch was bewirken.“ Nur ist das nicht leicht. Nach wenigen Minuten ist Gerdes wieder da. Es gab Streit mit den Jägern, er greift zum Telefon und wählt die Nummer seines Anwalts.

Mück seufzt leise und beginnt, Auberginen und Kohlrabi zu schneiden, Futter für die Kaninchen. Sie hebt den Kopf, als sich von draußen Schritte nähern.

Melker kauft Kuh

Steffen Bunk, ehemaliger Melker aus Thüringen, zieht seine Gummistiefel aus und setzt sich ins Wohnzimmer. „Wo meine Mädels noch gelebt haben, war ich öfter hier“, sagt er leise, die Sache mit Gisela und Penelope setzt ihm bis heute zu. 15 Jahre lang hatte er die beiden gemolken.

Sein Chef gab ein großes Fest, als Gisela 2010 die 100.000-Liter-Marke erreichte. Zwei Jahre später sollte sie zum Schlachter. „Wie kann man nur so undankbar sein“, ruft Bunk. Er kaufte die beiden und brachte sie auf Hof Butenland. Gisela lebte noch bis 2012, Penelope verstarb 2013. Bunk wurde Vegetarier und kündigte seine Stelle, er arbeitet jetzt als Fensterputzer. „Kühe werden behandelt wie Autos. Wenn sie alt werden, sollen sie weg“, sagt er. „Aber Tiere sind keine Autos, sondern Lebewesen.“

Weltweit essen die Menschen 300 Millionen Tonnen Fleisch im Jahr; bis 2050 sollen es 470 Millionen sein, sagt der Fleischatlas 2014 der Heinrich-Böll-Stiftung voraus. Allein in Deutschland werden jeden Tag mehr als zwei Millionen Tiere geschlachtet.

„Ich weiß auch, der Abdecker fährt jede Woche hier vorbei“, sagt Karin Mück. „Da ist es wichtig, dass man seine Arbeit und Energie richtig einsetzt.“ Ihr kommt es darauf an, den Spaß zu behalten, nicht zu verbittern.

Karin Mück hat 25 Jahre lang als Krankenschwester gearbeitet. In den 80ern brach sie in Versuchslabore ein, befreite die Tiere, zerschlug das Inventar. Dann wurde sie verhaftet. Wegen Verdacht auf „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ verbrachte sie einige Monate im Gefängnis.

Kurz davor, aufzugeben

Jan Gerdes hatte nie vor, den Hof zu übernehmen. Er hat sich ins Esszimmer gesetzt; der Hund Mastercard, blind, taub, dement, tapst aus der Küche herein. In Braunschweig hatte Gerdes ein Lehramts-Studium begonnen, doch als sein Vater krank wurde, zog es ihn zurück. Er machte seinen Meister als Landwirt, und nach dem Tod des Vaters baute er den Betrieb zum Bio-Hof um. Trotzdem musste er den Kühen ihre Kälber wegnehmen. Gerdes konnte damit nicht leben. Er war kurz davor, alles aufzugeben.

Dann lernte er Karin Mück kennen. Die sagte: „Bist du verrückt, hier wegzugehen.“

Gemeinsam entwickelten sie die Idee mit dem Kuhaltersheim. Heute finanziert sich der Hof aus Spenden, der Vermietung der zwei Ferienwohnungen auf dem Hof, EU-Zulagen und den Erträgen eines kleinen Windrads. Sie verkaufen bedruckte T-Shirts, Kalender, Mück hat ein veganes Kochbuch herausgebracht. Alles in allem reicht es gerade.

Mück bringt Kaffee und eine Schüssel mit aufgeschäumter Sojamilch an den Tisch. Ein Nachbar stapft über den Hof; Bernd Spenglers Michbetrieb liegt ganz in der Nähe. „Die meisten hier halten die für Spinner“, sagt er. „Ich bin der einzige, der das vegane Kochbuch gekauft hat.“

Ratschläge unerwünscht

Spengler will sich mit allen seinen Nachbarn gut verstehen. Sein richtiger Namen soll nicht preisgegeben werden; er will nicht zwischen die Fronten geraten. „Ich find das okay, wenn einer seine Sache macht.“ Nur die Ratschläge der beiden sind ihm manchmal zu viel, sagt er. „Dass sie ein Ärgernis sind, haben sie sich auch selbst zu verdanken.“

Die Jäger haben sich inzwischen in einer Gaststätte niedergelassen. Im Flur liegen drei tote Hasen; auf dem Tisch steht eine Flasche Korn. Auf den Konflikt mit Gerdes angesprochen, verschließen sich ihre Gesichter. „Wir haben das Recht, die Flächen zur Jagd zu nutzen“, sagt ein Mann, „und das werden wir auch tun.“ Zumindest, bis über das Verbot entschieden ist.

Der Regen hat etwas nachgelassen, Karin Mück durchquert den Obstgarten hinter dem Stall. Im dämmrigen Halblicht zeichnet sich das Kaninchengehege ab. Die Mastsäue Erna und Else, die zwischen den Wurzeln schnüffeln, sie sind nur als helle Schemen zu erkennen. Mück schweigt einen Moment. „Wir leben hier ein gutes Leben und mir ist es egal, was die anderen von mir denken“, sagt sie dann, „es ist Freiheit.“

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