BERLINER PLATTEN
: Wenigstens ehrlich sind die Titel der neuen Alben von Nylon und Bobo: „10 Lieder über Liebe“ und „Lieder von Liebe und Tod“

Endlich mal ein durch und durch ehrlicher Albumtitel. „10 Lieder über Liebe“ haben Nylon ihre dritte Platte genannt, und wir wollen es mal ein Konzeptalbum nennen. Es sind zwar in Wirklichkeit elf Lieder drauf, aber Sängerin Lisa Bassenge, Bassist Paul Kleber und die beiden Keyboarder Sebastian Demmin und Arnold Kasar schreiten in diesen Stücken doch tatsächlich relativ systematisch alle verfügbaren Aggregatzustände jenes beileibe oft genug besungenen Gefühls noch einmal ab. In „Ein Tag, den du magst“ wird eine frische Liebe beschrieben, in „Ausgedacht“ der Kater nach einem One-Night-Stand, in „Die Nacht war blau“ das Warten auf die große Liebe. Und in „Damals“ schließlich ist diese Liebe eine lange Beziehung geworden, drei Kinder inklusive: „Was ist bloß aus uns geworden?“

Mit den Coverversionen würdigen Nylon lang vergangene Versuchsreihen mit deutschem Chanson: Zum Einsatz kommen Stücke, die Marlene Dietrich („In den Kasernen“) bekannt gemacht oder Hildegard Knef („Der Mond hatte frei“) geschrieben hat. Und gleich drei Mal interpretiert das Quartett Songs von Manfred Krug und Günther Fischer, dem Komponisten seiner Swinghits in der DDR. Auf den Bigbandsound der alten Krug-Aufnahmen aber verzichten Nylon ebenso wie auf das dramatische Pathos der großen Damen Knef und Dietrich. Stattdessen singt Bassenge trotz ihrer Jazzwurzeln und offensichtlich vorhandener technischer Möglichkeiten demonstrativ zurückgenommen. So fügt sich ihre Stimme bescheiden ein in die zwar kargen, aber kunstvoll konstruierten Arrangements, die sich nicht mehr auf französische Chansonvorbilder beziehen, sondern eher auf die Berliner Electronica- und Clubtradition berufen. Ja, die „10 Lieder über Liebe“ sind wohl noch Chanson, aber eines fürs 21. Jahrhundert. Nylon dürfen sich nun endgültig Erneuerer und Modernisierer eines Genres nennen. Keine schlechte Karriere für eine Band, die sich vor gerade mal drei Jahren als spaßiges, ausschließlich Coverversionen spielendes Nebenprojekt gründete.

Bei weitem nicht so lustig ist die aktuelle Erscheinungsform von Christiane Hebold. Die Sängerin firmierte früher als Bobo In White Wooden Houses und fertigte weitgehend harmlose, aber nicht unflotte Popmusik. Nun, den Namen verkürzt zu Bobo, singt sie „Lieder von Liebe und Tod“. Und auch das ist wahrlich ein ehrlicher Titel. Denn zusammen mit dem Theatermusiker Sebastian Herzfeld hat sie sich alter Gedichte und Volkslieder angenommen, die nun bleischwer interpretiert werden. So kommen Goethe oder Eichendorff zu einer Vertonung und der jahrhundertealte Gassenhauer „Die Gedanken sind frei“ zu einer vorsichtigen Modernisierung. Doch Bobo singt die alten Weisen weitgehend im Stile des klassischen Kunstliedes, ihre Stimme klar und hell. Dazu klimpert verloren ein Klavier. Kräht ein Saxofon. Oder klackert irgendwas. Man gibt sich leicht avantgardistisch, hält die Instrumentierung karg und den Anspruch schwer seriös. Fazit: Man kann sich auch ein bisschen zu ernst nehmen.

THOMAS WINKLER

Nylon: „10 Lieder über Liebe“ (Boutique/Universal); live heute 21.30 Uhr, Club der Visionäre. Bobo: „Lieder von Liebe und Tod“ (Traumton/ Indigo)