Rückblick (2011, 1/3)

Brigitte Werneburg, Redakteurin taz — seit 11/2011 Redakteurin „Interview“

Dieses Jahr, war das nicht das Jahr von Wowereits „Leistungsschau der Gegenwartskunst von in Berlin lebenden und arbeitenden internationalen Künstlern“? Man erinnert sich kaum noch daran. Was haben eigentlich die insgesamt 80 beteiligten Künstler von den 1,7 Million Euro gesehen, die „Based in Berlin“ gekostet hat? Für dessen ästhetisch mageres Ergebnis es abartigerweise nicht weniger als acht Kuratoren brauchte! Über 2.000 Kulturschaffende liefen in einem „Haben und Brauchen“ betitelten, offenen Brief gegen das Wowereit’sche Potentaten-Projekt Sturm. Wie es scheint, ziemlich folgenlos. Als Regierender Bürgermeister wiedergewählt, ist Wowereit erneut Kultursenator. Und davon, dass die städtischen Kunstinstitutionen, von den Projekträumen und Off-Spaces gar nicht zu reden, finanziell bessergestellt werden sollen, weiß man natürlich nichts. Insofern sich die Berliner Kunstproduktion – von deren Nimbus bei den Superreichen der Regierende profitieren will – allein der lahmenden Stadtentwicklung und den lahmenden Immobilienpreisen verdankt, war Wowereits ursprüngliche Planung für den Humboldthafen der Gipfel des Zynismus. Denn Projekte wie der Humboldthafen mit ihrem Nimbus bei den Superreichen sollen diesem Zustand ja ein Ende bereiten. Gut, dass die Chose schließlich im Monbijoupark stattfand, mit wenigstens einer guten Folge: Dank „Based in Berlin“ wird das dort wieder entdeckte Atelierhaus der Kunsthochschule Weißensee nicht abgerissen, sondern das neue Domizil von c/o Berlin, die – aus dem Postfuhrwerk vertrieben – zunächst am Immobilienboom in Mitte zu scheitern drohte. Ende September erhielt dann Cyprien Gaillard für seine Videoarbeit „Artefacts“ die 50.000 Euro des Preises der Nationalgalerie für Junge Kunst. Konsequenterweise, denn im Frühjahr war Gaillard noch Stadtgespräch gewesen, mit seiner Bierpyramide in den Kunst-Werken, die eigentlich den Sockel des rund einen Kilometer weit entfernten Pergamonaltars auf der Museumsinsel repräsentieren und irgendwie auch restaurieren wollte: „The Recovery of Discovery“ wie der Titel besagte. Ein Titel, der auch die Wanderbewegung der Kunstszene von Mitte nach Kreuz- und vor allem nach Schöneberg sehr gut beschreibt. Zuletzt waren es Barbara Wien und Wilma Lukatsch, die ihre Galerie aus der Linienstraße ans Schöneberger Ufer (Nr. 65 – zwei Stockwerke über der Galerie Esther Schipper) verlagert haben. Und natürlich ihre unschlagbare Kunstbuchhandlung. Tolle Ergänzung: Die entsprechenden aktuellen Kunstzeitschriften, -fanzines und -magazine wie überhaupt die „Lektüre der Gegenwart“ findet man um die Ecke, die Potsdamer Straße ein bisschen runter, in der Nummer 98, bei „do you read me?!“, die hier eine Dependance aufgemacht haben. In die 98a, in den zweiten Hinterhof, zog dann Peter Herrmann ein, dessen Galerie auf alte wie zeitgenössische afrikanische Kunst spezialisiert ist. Seine Räume finden sich im Erdgeschoss eines großzügigen Atelierhauses, in dem schon Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker lernten und lehrten, denen der Zugang zur Akademie verwehrt war. Jetzt gehört das Haus der Alexander und Renata Camaro-Stiftung, die Künstler mit interdisziplinären Interessen fördert. Und aus der Karl-Marx-Allee zog dann die Galerie Krome ins Vorderhaus. Aber noch gibt es vernagelte Schaufensterfronten, wenn man die Straße von der Nr. 98 in Richtung Kanal runtergeht. Glücklicherweise. Denn man muss befürchten, ist es damit vorbei, ist es auch mit dem guten Leben auf der Potsdamer Straße vorbei. Dass den Hard Core von LSD (Love, Sex, Dreams) an der Ecke Kurfürstenstraße nun der (preisliche) Hardcore des Nymphenburger Künstlerporzellans bei Andreas Murkudis im Hinterhof des Tagesspiegel-Gebäudes ergänzt, schadet so lange nicht, solange sich die finnische Kunst noch im Off-Space zur Straße hin halten kann und der arabisch-indische Gemischtwarenladen unten, neben Klosterfelde: Based in Berlin eben.