Ganz frisch, die Früher-war-alles-besser-Musik, Rock ’n’ Roll, Soul, mit den Haferflocken Swingers und The Floorettes

Was man so hört: Die Zeiten sind schlecht. Aber früher, so sagt es sich gerne, war alles besser. Oder wenigstens doch die Musik. Keine Ahnung, ob dieser momentan in der Gesellschaft weit verbreitete Reflex auch die Haferflocken Swingers ereilt hat. Hört sich jedenfalls so an auf „Midnight Boogie“. Denn das Berliner Sextett setzt eine Zeitmaschine in Gang, die den Zuhörer entführt in die Jahrzehnte vor dem Zweiten Weltkrieg und in die Aufbruchstimmung kurz danach.

Man darf sich aber nicht vom pennälerhaften Namen ablenken lassen: Die Haferflocken Swingers existieren in verschiedenen Besetzungen bereits seit 2001, und sie setzen sich zusammen aus versierten Musikern, die noch kein Genre getroffen haben, das sie nicht genüsslich zitieren könnten. Im Gegensatz zu früheren Veröffentlichungen sind zwar die osteuropäischen Einflüsse nahezu getilgt, aber dafür wird ausführlich in Nordamerika gewildert – und da ist ja auch genug los. Also schlängelt sich das gestopfte Saxofon so schmachtend durch „Double Locked“, als wollte es sich als Voodoo-Hohepriester von New Orleans bewerben, aber zu „Burn“ könnte nicht nur das Fernsehballett prima die Beine schmeißen. „Nag“ ist ein lasziv daherrollender Rockabilly und „Ulysses Cowboy“ ein hinreißend hingenuschelter Country-Song. Überhaupt suchen die Haferflocken Swingers immer wieder gern jene Schnittstelle auf, an der Blues, Country und Jazz zum frühen Rock ’n’ Roll verschmolzen. Man hört Dixieland und natürlich Swing, aber auch Stammesrhythmen und verrauchte Jazz-Keller, man hört den Sumpf und auch mal die Prärie, man hört vor allem: den Spaß, den es macht, das alles zu spielen. Denn zwar rekonstruieren die „Flocken“ jene betagten Musiken grundsätzlich sehr originalgetreu, aber peppen sie dann doch auf mit einer leichten, kaum zu hörenden, eher zu ahnenden Punk-Attitüde.

Diese zweite, leicht distanzierende Ebene fällt bei The Floorettes auch noch weg. So liebevoll und bis ins letzte Detail exakt wurden schon lange nicht mehr die goldenen Zeiten des Motown-Soul nachgestellt wie auf ihrem Debüt „Pocket Full Of Soul“. In der Rolle von Diana Ross tritt auf: Julia Riese. Die beiden restlichen Supremes sind: Amelie Hinrichsen und Katharina Dommisch. Hinter den dreien, die stets auch stilecht in farblich abgestimmten Kleidern und mit hochgesteckten Haartürmen auftreten, steht eine achtköpfige Band, die von der quäkigen Orgel über die satten Bläser und die feisten Streicher bis zu den satten Bass-Linien alles im Angebot hat, womit der schwarze Soul in den sechziger Jahren den weißen Markt eroberte. Nun mögen die drei Sängerinnen nicht ganz den Stimmumfang ihrer Vorbilder besitzen, aber im Vergleich zu Adele oder Raphael Saadiq versuchen die Floorettes erst gar nicht, den Eindruck zu erwecken, ihr Retro-Soul sei ein Neo-Soul. Das Mantra der Berliner Formation scheint zu sein: Keine Modernisierungsversuche! Wozu auch: Das Original ist doch prima. Und in schlechten Zeiten besinnt man sich eben gern aufs Bewährte. THOMAS WINKLER

■ Haferflocken Swingers: „Midnight Boogie“ (Franky Boy Records), Record-Release-Party am 10. 3. im Monarch

■ The Floorettes: „Pocket Full Of Soul“ (Waterfall Records)