Einfach keine Lust

Am Waldrand stand der rote Astra. Er gehörte P., der nun seit zwei Tagen vermisst war. Das Auto war nicht abgeschlossen, im Radio eine CD, Townes van Zandt, „Live At The Old Quarter Houston, Texas“. Ein Konzert, noch aus den frühen Jahren, den produktivsten, als van Zandt schon erste Einbrüche gehabt hatte, Sauftouren, Depressionen und die Insulintherapie, die ihm das Langzeitgedächtnis zerstörte. Die bizarren Auftritte mit den vergessenen Texten lagen da noch in der Zukunft, der schwere Alkoholismus auch, der ihn schließlich umbringen sollte. Das Picking ist perfekt, die Stimme voll Melancholie, die Bluesstücke haben Schwung. Alle nach van Zandts zu frühem Tod veröffentlichten Live-Mitschnitte müssen sich an diesem messen lassen, der in einem stickigen maßlos überfüllten Hinterzimmer aufgenommen wurde.

Auf dem Beifahrersitz lag ein Packen Papier, die ersten 12, 13 Seiten beschrieben, erst in deutlicher Blockschrift, dann ungleichmäßiger, schließlich kaum noch lesbar. Daneben zwei Flaschen Wein. So was kann man sich kaum ausdenken. Davon, dass er, P., Townes van Zandt für ein verkanntes Genie hält, war viel die Rede in dem unadressierten Brief. Seine sechsjährige Tochter erwähnte P. auch. Wie lange er schon darüber nachgedacht hatte, und wie oft er kurz davor oder tatsächlich bereits dabei war. Niemand hatte je auch nur den geringsten Verdacht gehabt. Hinter der freundlichen und offenen Erscheinung hatte die ganze Zeit etwas völlig Unbekanntes gelegen. Zumindest auf den dahin gekritzelten Seiten gab er niemandem die Schuld. Er hatte einfach keine Lust. Sein erster Versuch war mit 14 Jahren gescheitert. Mit dem Gürtel am Kleiderschrank aufgeknüpft, hatte P. anscheinend sein Körpergewicht unterschätzt und den Schrank umgerissen und sich ein Bein darunter gebrochen. Niemand scheint genauer nachgefragt zu haben, wie der Junge mitten in der Nacht unter das Möbel geraten war.

Untrennbar verbunden ist Townes van Zandt nun für mich mit P., dessen lebloser Körper in einem mecklenburgischen Wald hundert Meter von seinem roten Astra entfernt vom Baum genommen wurde, allerdings kann ich mir nicht helfen und denke dann immer an den Schrank, der 20 Jahre vorher krachend umgefallen war – und muss lachen. Und glauben will ich irgendwie, dass es P. in seinen letzten Momenten genauso ging.

Was hingegen Maren Eggert und Peter Jordan mit van Zandt verbinden, lässt sich am Samstag im Deutschen Theater feststellen, wo sie sich mit „Home is where the Heart is“ „in seinem Geiste auf schmutzige Straßen ohne Ziel begeben“. Gute Reise. DANIÉL KRETSCHMAR

■ „Home ist where the Heart is“: DT-Bar, Samstag, 22 Uhr