Kolumne Die Charts: Wer jetzt noch denkt, ist herzlos

Die Charts heute mit: Musikantenstadl-Beck und der neuen Serie "Stulle" - Die Leiden eines Ökohassers.

Ein Stück Wärme. Meine Frau war gerade dabei, stöhnend zum Einkaufen zu verschwinden. Da rief ich ihr vom Sofa aus hinterher: "Und bring bitte auch noch ein Stück Wärme mit."

Sie seufzte: "Wirklich gute Wärme kriegst du hier doch schon längst nicht mehr."

Worauf ich sagte: "Doch, das ist wieder im Angebot. Beim Beck."

Sie (kalt): "Ich kauf nicht im Discounter."

*

Gewiss, man könnte sich auch in Rage reden über denkende Mittelschichtler, die nicht beim Discounter-Beck kaufen wollen. Die Kurt Beck für einen Politiksimulationskomödianten halten und sein Kleine-Leute-Geschwätz, dieses ganze Leitartikelgesülze vom Herz der verlorenen SPD-Stammwähler und das furchtbare Politikkonzept des Moderierens von Befindlichkeiten nicht akzeptieren oder sogar im Kopf nicht mehr aushalten. Besser ist es, das nicht zu tun, sondern sich ein für allemal mit Beck zu beschäftigen.

Dankenswerterweise hat Claudius Seidl die Drecksarbeit (FAS von gestern) bereits erledigt. Zusammenfassung: Das Problem Becks ist nicht der eklatante Bart, sondern der eklatante Mangel an Substanz.

Anders gesagt: Dem Mann ist nicht alles, sondern nichts zuzutrauen. Das ist aber noch nicht das Problem. Das Problem ist, dass so etwas als Qualität und Voraussetzung gilt, um mit gefühlter Politik Parteien "führen" und KanzlerIn werden zu können. Weil genau das ja nachgefragt wird wie nichts sonst von den kleinen Leuten. Zumindest von den kleinen Leuten in den Parteien und in den Leitartikelzentralen, die bestimmen, was die noch kleineren Leute denken beziehungsweise heute ja: fühlen sollen. Denn wer noch denkt, gilt heute als herzlos und ist damit nicht "politikfähig". Was früher der Musikantenstadl war, ist heute der SPD-Parteitag. Einfach mal ein paar Stunden den Alltag vergessen? Komm zur SPD. Ein Brückerl, ein Scherzerl, ein Kurterl, ein Herzerl.

Man kann sich jetzt schon darauf freuen, wie Beck, nur zum Beispiel, der Klimaerwärmung bei einem Betriebsfest lange und gut zuhört, ihre Sorgen und Nöte kennenlernt, ihr dann aber doch mit einem freundlich-bestimmten "Immer langsam mit de Grad " Einhalt gebietet oder ihr zumindest das eine oder andere Grad Erwärmung abschwatzt. Ich halte mich an Adorno, der gesagt hat: Es wird nicht wärmer, je näher man an jemandes Herz kommt, sondern je tiefer man in seinen Arsch kriecht. Am Ende landet man aber in der Scheiße.

*

Stulle (1).

Stulle regte sich jetzt schon wochenlang auf. Genauer gesagt: Seit die Ökopolizei ihm die Luft aus den Reifen seines Porsche gelassen hatte. Als ob es kein anderes Thema gäbe.

"Easy, Stulle", sagte ich, "easy."

Ich machte mir echt Sorgen. Wenn Stulle seinen roten Kopf kriegt, sieht er aus wie ein fränkischer Bauer kurz vorm Herzkasper. Dinge, die er nicht großartig finden kann, sind einfach gegen seine Natur. Und das macht dann seinen Organismus kirre.

"Dann pumpst du die Reifen halt wieder auf, Stulle, und dann kannst du auch wieder CO2 rausblasen. Wo ist das Problem?"

"Diese Ökostalinisten sind die Pest", keuchte Stulle. "Eine Gefahr für das liberale Bürgertum."

Es ist schon ein bisschen auffällig, dass Stulle immer "das liberale Bürgertum" sagt, wenn er seinen Porsche meint.

"Komm, Stulle", sagte ich, "sieh es positiv: Endlich wieder junge, politisierte Menschen, die sich aus Sorge um unsere Welt engagieren. Das ist doch purer Rock n Roll."

Aber selbst das Wort Rock n Roll konnte ihn nicht beruhigen. Fortsetzung folgt.

Die Charts im Oktober:

Buch: Teil der Lösung

- Ulrich Peltzer

Song: Creedence Song

- John Fogerty

Fußball: Grafite - VfL Wolfsburg

Motto: "Its okay to want to change the World."

(Paste Magazine)

PETER UNFRIED

DIE CHARTSFragen zum Ökohass? kolumne@taz.de Morgen: Adrienne Woltersdorf OVERSEAS

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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