Der Schüler

„Das Wichtigste ist, das Schweigen zu brechen“, sagt Robert Konieczny. „Wenn erst mal alle wissen, dass du ein Gay bist, ist es gut.“ Dann müsse man nicht so tun, als würde man sich für Mädchen interessieren. „Wenn man so jung ist wie ich, gerade mal 16, denken viele, dass sich das noch auswächst. Aber das ist Unsinn.“ Das Schwierigste sei, es den Eltern und Geschwistern so schonend beizubringen, dass sie einen nicht verstoßen. Roberts Mutter ist schwer krank. Sie bereitet sich gerade auf eine Transplantation vor. „Für sie wird es ein Schock sein. Wenn alles gut geht und sie die neue Leber annimmt, sage ich es ihr. Mein Vater lebt schon nicht mehr. Meine beiden Schwestern haben es vor ein paar Monaten erfahren. Sie haben schrecklich geweint. Aber inzwischen ist alles okay.“

Der schlaksige Junge mit dem braunen Pony wirkt auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Zehntklässler. „So unschuldig, wie ich aussehe, bin ich nicht mehr“. Im Gegenteil. Sein „erstes Mal“ erlebte er schon mit 13 Jahren. Ein Schulfreund kam zu ihm nach Hause. Die beiden wollten zusammen Hausaufgaben machen und ein bisschen lernen. „Als wir fertig waren, saßen wir zusammen auf dem Sofa, zappten uns durch die Programme und blieben bei einem Sexfilm hängen. Ob das der Auslöser war? Jedenfalls begannen wir plötzlich beide, uns ganz intensiv für den anderen zu interessieren. Und so passierte es dann.“ Das Problem begann danach. Weder Robert noch sein Schulfreund konnten über ihre Gefühle oder gar über Sex reden. „Das war ein absolutes Tabu in unseren Familien. Ich kannte damals noch nicht einmal das Wort Gay. Ein Schuldgefühl hatte ich aber auch nicht. Es war einfach nur verwirrend.“ Er begann nach Literatur zu suchen, nach Zeitschriften, Broschüren. „Dann hatte ich eine Krise, fast schon eine Persönlichkeitsspaltung. Bin ich ein Schwuler, oder bin ich keiner? Die eine Stimme sagte, dass ich zum Arzt oder Psychologen gehen soll, um normal zu werden, die andere Stimme sagte, dass es doch nichts Schlimmes sein kann, einen Jungen zu lieben.“ Nach zwei Jahren hatte die Quälerei ein Ende. An der Schule gingen Gerüchte um, dass Robert ein Schwuler sei, Beleidigungen wie Tunte und Arschficker waren an der Tagesordnung. „Als ich dann ganz klar sagte: ‚Ja, ich bin ein Gay‘, hörten das Getuschel und die Beleidigungen sofort auf. Seitdem bin ich ein anderer Mensch. Ich habe mich so akzeptiert. Das war eine große Erleichterung. Es ist gut so, wie ich bin.“

Seit ein paar Monaten ist er liiert und glücklich. Sein Freund, 20, studiert in Warschau und führte ihn in eine Homo-Hetero-Jugendgruppe ein. „Das war toll. Plötzlich lernte ich lauter Jugendliche kennen, die ähnlich dachten und fühlten wie ich.“ GL