6 Fakten über die Türken und die EM: Halbmond über Almanya

Die Türken haben es ins Viertelfinale geschafft - ihre Fans befinden sich im kollektiven Delirium. Was geschieht, wenn sie Europameister werden?

Jubelnde Fans nach dem Sieg der türkischen Nationalmannschaft. Bild: dpa

Warum feiern die Türken eigentlich so wild?

Fahnen, Fahnen und noch mehr Fahnen: In den deutschen Innenstädten feierten am Sonntag tausende türkischer Fans den Sieg ihrer Mannschaft. Im Siegesrausch sind auch die türkischen Zeitungen: Die Boulevardpostille Hürriyet verkündete: "Wir sind jetzt in Wien", und auch die Milliyet sagt begeistert "Ja zur Eroberung Wiens". Vatan - zu Deutsch "Vaterland" - findet gar: "Dieser Sieg ist ein Geschenk an die Weltfußballgeschichte." Also - eines ist seit Sonntag mal wieder klar: Die Türken feiern gerne und wild. Woran das liegt? Wenn es was zu jubeln gibt, dann wird das bei den Orientalen auch lautstark umgesetzt - je ferner der Heimat, desto lautstärker. Nationale Befindlichkeiten, Sperrstunden oder verkopfte Emotionskontrollen sind in solchen Momenten unwichtig - man wird gepackt vom morgenländischem Temperament, das bekanntlich sprudelt wie ein Gebirgsbach im Taurus.

Was passiert, wenn die Türken die EM gewinnen?

Nur für den Fall, dass die Türken tatsächlich Europameister werden: Stehen Sie bitte auf und üben Sie vorab die erste Strophe der türkischen Nationalhymne: "Korkma, sönmez bu safaklarda yüzen al sancak; Sönmeden yurdumun üstünde tüten en son ocak. O benim milletimin yildizdir, parlayacak; O benimdir, o benim milletimindir ancak."

Die Übersetzung? Ist an dieser Stelle egal, denn Deutschland wird mit dem Sieg ohnehin tagelang türkisches Hoheitsgebiet sein.

Vorsicht, Nationalisten!

Ja, auch unter türkischen Fußballfans gibt es demokratiegefährdende Phänomene, die eigentlich in Containershows gehören. Als sportinteressierte Nationalisten haben sich vor allem die Grauen Wölfe hervorgetan, die regelmäßig auf den Fanmeilen auftauchen. Zu erkennen sind die Grauen Wölfe an einem Fingersymbol (Spreizen des kleinen Fingers und des Zeigefingers als Zeichen für die Ohren des Wolfes und das Aufeinanderlegen des Mittel- und Ringfingers auf den Daumen für die Schnauze), Halsketten und Fahnen mit dem Wolfsemblem sowie der Fahne der Bewegung mit den drei nach unten geöffneten Halbmonden (osmanische Kriegsflagge).

Was geschieht, wenn die Deutschen rausfliegen?

Kommt drauf an, gegen wen. Verlören die Deutschen gegen Österreich oder Portugal, dürften sie sich des türkischen Mitleids sicher sein - allerdings wäre es dieses lauernde, latent aggressive Mitleid des Raubtiers, das es bedauert, sein Opfer nicht selbst reißen zu dürfen, wies etwa bei einem möglichen Halbfinale Deutschland vs. Türkei der Fall wäre. Die deutschen Fans zumindest in den Großstädten aber sollten das Angebot annehmen, sich ihrerseits in den türkischen Taumel zu integrieren und deren Mannschaft als eine Art Ersatz-DFB-Auswahl anzufeuern.

Aber was geschieht, wenn die Türken rausfliegen?

Die Türken? Rausfliegen? Willsu paar auffe Fresse, oder was? Nein, die Türken werden nicht rausfliegen. Nie mehr. Für solche Grübeleien ist kein Platz, nicht in diesem Turnier, und im Herzen eines patriotischen Türken erst recht nicht. Erschütternder als Jubeltürken sind nur Trauertürken. Kein schöner Anblick.

Als Deutscher sollte man die Stimme senken und in Anwesenheit türkischer Fans etwas Erbauliches vor sich hin flüstern: "Fürchte nicht, die in dieser Morgendämmerung wehende rote Fahne kann nicht vergehen …", denn das ist die Übersetzung der ersten Zeile der türkischen Nationalhymne, während die zweite wegen akuter Heulkrampfgefahr besser unterschagen bleibt: " … solange das allerletzte Herdfeuer, das in meiner Heimat brennt, nicht erloschen ist."

Darf man die Türken überhaupt besiegen? Oder gibt es dann Ärger wegen "Beleidigung des Türkentums"?

Dumme Frage! Und schwierig zu beantworten, wurde das nebulöse "Türkentum" im Hrant-Dink-Urteil von 2006 doch folgendermaßen definiert: "Türkentum bedeutet die Gesamtheit der nationalen und ideellen Werte, die aus den menschlichen, religiösen und historischen Werten, die die türkische Nation bilden, und aus der nationalen Sprache, den nationalen Gefühlen und Traditionen resultieren." Gehört dazu nicht auch die Nationalmannschaft?

Laut Paragraf 301 des türkischen Strafgesetzbuchs ist aber von "besiegen", "weghauen" und "vom Platz fegen" des Türkentums keine Rede. Mit "Haft zwischen sechs Monaten und zwei Jahren bestraft" wird nur das öffentliche "Verunglimpfen". Wer die Türken aus dem Turnier wirft, könnte also, Pardon, glimpflich davonkommen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.