Schalom Thüringen

Ein jüdischer Staat mit dem thüringischen Weimar als Hauptstadt? Klingt absurd, ist aber in Planung – ein israelischer Künstler will sein Gelobtes Land jetzt neu erfinden

VON CHARLOTTE MISSELWITZ

In Weimar könnte es bald koschere Bratwurst geben. „Das ist ein großer Traum für mich“, sagt Ronen Eidelman, ein Künstler aus Tel Aviv. Tausende Kilometer vom Staat Israel entfernt, gründet er eine Bewegung für einen zweiten jüdischen Staat in Thüringen. Sechs Millionen Israelis könnten dann in Deutschlands grüner Berggegend wohnen. „Man spricht Deutsch, Hebräisch und Jiddisch auf den Straßen.“ Bratwurstrezepte ohne Schwein sind schon Details.

Am Sonntag um elf Uhr wird sich der israelische Künstler vor das Weimarer Nationaltheater stellen und seine Version des Weltfriedens verkünden. Einst wurde hier die Weimarer Republik gegründet. Diesmal eröffnet er vor Studenten, Stadtbewohnern und Zugereisten sein Kunstprojekt: Mit einem jüdischen Staat in Thüringen wären die Palästinenser entlastet. Der Osten Deutschlands lebte auf. Und der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad bräuchte keine Atombombe mehr. Seit seiner Veröffentlichung im Mai unterstützen hunderte Muslime, Juden und Christen auf der Webseite von „Medinat Weimar“ das Projekt. Medinat ist Hebräisch und heißt Republik.

Mit Israel provozieren

Den Israelis wird höchstens die Sonne fehlen. Aber daran hat sich auch der 36-jährige Eidelman nach anderthalb Jahren gewöhnt. Seitdem studiert er an der Uni in Weimar „Kunst im öffentlichen Raum“. Dem kleinen Mann mit stets breitem Lächeln wächst grad ein Bart. Der gehört zu seinem teils satirischen, teils politischen Abschlussprojekt. Dazu kommen Flyer, Plakate und Sticker, auf denen das Herz von „I like Thüringen“ durch einen israelischen Stern ersetzt wurde. Das künstlerische Staatsprojekt kritisiert als Konzeptkunst Staatsdenken und träumt zugleich von neuen Formen des Miteinanders.

Man mag den ersten Staatswiderspruch darin sehen, dass Eidelman die Kundgebung am Sonntag nicht anmelden kann. Die nichtjüdische Studentin Katharina Spiel gab als deutsche Staatsbürgerin ihren Namen her. Sie denkt jedoch genereller: „Ich find es gut, mit der Idee eines Staates zu provozieren. Wenn man all die antisemitischen und zionistischen Argumente zusammenwürfelt, dann landet man irgendwie da.“

Die Zionisten rechtfertigen den jüdischen Staat mit dem Holocaust. Der iranische Staatschef kritisiert, dann hat er nichts im Nahen Osten zu suchen, sondern in Europa. Medinat Weimar führt eins und eins zusammen. Eine charmante Logik, für die sich die 22-Jährige und alle anderen Unterstützer des Projekts sehenden Auges in einen Widerspruch stürzen: Denn wer willkürliche Staaten auf irgendwelchen Territorien kritisieren will, sollte selbst keinen Staat in Thüringen gründen. Das wäre, wie wenn Thüringer Bratwürste einfach nur aus Lamm sein müssten. Der Kommentar der blonden Bratwurstverkäuferin vom Stand gegenüber den Nationaltheater ist eindeutig: „Nee, das kann ich mir nicht vorstellen. Es muss schon Schwein sein. Sonst wär es ja keine Thüringer.“

Neue kulturelle Symbiose

Missverständnisse, die seine Staatsidee mit Praxis gleichsetzen wollen, erfuhr Eidelman schon im Vorfeld. Von den fast zweihundert vorrangig begeisterten Einträgen auf der Internetseite der israelischen Zeitung Ha’aretz vorletzten Samstag waren 30 Prozent entsetzt. Sie sahen die Existenz Israels hinterfragt. Die erste „weiße Nationalisten“-Webseite aus den USA, „Stormfront“, kommentierte am Donnerstag: Nach Palästina nun auch noch Deutschland, die Juden hätten nie genug. Dabei soll eben diese Reibung nur vorführen: Staatliche oder geschichtliche Argumente sind an sich widersprüchlich. Das Projekt ist ein Gedankenexperiment, das provoziert und gleichzeitig mit kulturellen Identitäten spielt.

Mika Hanula, Professor des Programms „Kunst im öffentlichen Raum“, sieht in Medinat Weimar ein typisches Beispiel für den zeitgenössischen Trend zu „sozial engagierter“ Kunst: „Seit den 90er-Jahren gibt es sehr viele Künstler, die nicht Objekte produzieren, sondern mit Kollektiven arbeiten. Das kann politisch sein oder direkt sozial.“ Hanula Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes über „Vergangenheitsbewältigung als Identitätspolitik“ nach Deutschland. Der Mix der eigenen kulturellen Identität mit der des Landes verbindet ihn mit Eidelman. Beide mischen relevante Geschichtsaspekte aus ihrem Hintergrund mit denen Deutschlands und machen sich zugehörig. So wäre mit Medinat Weimar zehn Jahrzehnte nach dem Holocaust die deutsch-jüdische Symbiose wiederhergestellt.

Es klingt so einfach und weckt auch Sehnsüchte bei Einheimischen wie Katharina Spiel. Sie weiß jedoch, damit denkt sie wieder national und Geschichte kann man nicht zurückdrehen. Erst durch die Verweigerung der eigenen Ideenumsetzung erhält das Projekt sein Potenzial. Es klingt so einfach und wird doch immer nur ein Traum bleiben.

Denn einfach, nach Eidelmans trockenem Befund, ist nur nationalistische Logik: „Die Essenz der Thüringer Bratwurst ist Schwein. Wenn man das ändert, dann ist es keine Thüringer mehr.“